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Franzen, Jonathan

Franzen, Jonathan

Titel: Franzen, Jonathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Freihheit
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theoretisch eine viel größere Bevölkerung ernähren kann. Und
dann denk an die C0 2 - Emissionen
weltweit, an Völkermord und Hunger in Afrika und an die radikalisierte,
chancenlose Unterschicht in der arabischen Welt, an die Überfischung der
Weltmeere, an illegale Siedlungen in Israel und an die Han-Chinesen, die Tibet
überrennen, an Hundertmillionen Arme im Atomstaat Pakistan: Es gibt kaum ein
Problem auf der Welt, das nicht dadurch gelöst oder wenigstens gewaltig
gelindert würde, wenn es weniger Menschen gäbe. Und dennoch -» er gab Katz ein
weiteres Diagramm - «fügen wir bis 2050 weitere drei Milliarden hinzu. Mit
anderen Worten, das Äquivalent der gesamten Weltbevölkerung von damals, als du
und ich unsere Cents in UNICEF-Dosen gesteckt haben. Was wir in unserem kleinen
Rahmen jetzt tun könnten, um ein wenig Natur zu retten und eine gewisse
Lebensqualität zu bewahren, wird von den schieren Zahlen erdrückt werden, denn
die Menschen können zwar ihre Verbrauchergewohnheiten ändern - das kostet Zeit
und Mühe, aber es geht -, doch wenn die Bevölkerung weiterwächst, wird nichts
von dem, was wir tun, etwas ausrichten können. Und trotzdem spricht niemand öffentlich
über das Problem. Obwohl es auf der Hand liegt und uns umbringt.»
    «Das
klingt nun schon vertrauter», sagte Katz. «Ich erinnere mich an einige recht
ausgedehnte Diskussionen.»
    «Ja, das
hat mich auch schon am College beschäftigt. Aber wie du weißt, habe ich selber
gebrütet.»
    Katz
runzelte die Stirn. Brüten, keine
uninteressante Ausdrucksweise, um von Frau und Kindern zu sprechen.
    «Auf meine
Art», sagte Walter, «war ich vermutlich Teil eines größeren kulturellen Wandels,
der sich in den Achtzigern und Neunzigern vollzogen hat. Die Überbevölkerung
war ganz klar ein Thema der öffentlichen Debatte in den Siebzigern, mit Paul
Ehrlich und dem Club of Rome und der
Organisation Zero Population Growth. Und plötzlich war das alles vom
Tisch. Darüber wurde nicht mehr gesprochen. Zum Teil hatte das mit der Grünen
Revolution zu tun - du weißt schon, immer noch massenhaft Hungersnöte, aber
keine apokalyptischen. Und dann kriegte die Bevölkerungskontrolle politisch
einen schlechten Ruf. Das totalitäre China mit seiner Ein-Kind-Politik, Indira
Gandhi mit ihren Zwangssterilisationen, die amerikanische ZPG-Organisation, das
alles wurde als nativistisch und rassistisch abgetan. Die Liberalen bekamen es
mit der Angst zu tun und schwiegen. Sogar der Sierra Club bekam es mit der
Angst zu tun. Und die Konservativen haben sich sowieso immer einen Dreck darum
geschert, weil ihre ganze Ideologie nur kurzlebige Egozentrik ist und Gottes
Plan und so weiter. Und so ist das Problem zu einem Krebs geworden, von dem man
genau weiß, dass er in einem wächst, aber man beschließt, man denkt einfach
nicht daran.»
    «Und das
hat was mit eurem Pappelwaldsänger zu tun?», sagte Katz.
    «Alles hat mit
ihm zu tun», sagte Lalitha.
    «Wie
gesagt», sagte Walter, «wir haben beschlossen, den Auftrag der Stiftung, die
das Überleben des Waldsängers sichern soll, etwas freier zu interpretieren. Wir
verfolgen das Problem einfach weiter zurück, immer weiter zurück. Und
hinsichtlich einer Finalursache oder eines unbewegten Bewegers stoßen wir, im
Jahr 2004, auf die Tatsache, dass es total toxisch und uncool geworden ist,
über eine Umkehrung des Bevölkerungswachstums zu sprechen.»
    «Also
frage ich Walter», sagte Lalitha, «wer ist der coolste Mensch, den du kennst?»
    Katz
lachte und schüttelte den Kopf. «O nein. Nein, nein, nein.»
    «Pass auf,
Richard», sagte Walter. «Die Konservativen haben gesiegt. Sie haben die
Demokraten in eine Mitte-Bechts-Partei verwandelt. Sie haben das ganze Land
dazu gebracht, vor jedem einzelnen Baseballspiel der Major League
zu singen, mit der Betonung auf Gott. Sie haben
an jeder beschissenen Front gesiegt, vor allem aber haben sie kulturell
gesiegt, und besonders im Hinblick auf Kinder. 1970 war
es noch angesagt, sich um die Zukunft des Planeten zu sorgen und keine Kinder
zu bekommen. Heute stimmt alles darin überein, rechts wie links, dass es schön
ist, viele Kinder zu haben. Je mehr, desto besser. Kate Winslett ist schwanger,
hurra hurra. Irgendwo in Iowa kriegt eine blöde Kuh Achtlinge, hurra hurra.
Die Debatte über die Idiotie von Geländewagen verstummt jäh, wenn es heißt, man
kaufe sie, um die kostbaren eigenen Kinder zu schützen.»
    «Ein totes
Kind ist nicht gerade was

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