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Franzen, Jonathan

Franzen, Jonathan

Titel: Franzen, Jonathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Freihheit
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Mädchen eigentlich Single oder was?», sagte er.
    «Wer,
Lalitha? Nein. Sie hat seit dem College denselben Freund.»
    «Und der
wohnt auch bei euch?»
    «Nein, er
ist in Nashville. Er hat in Baltimore Medizin
studiert, und jetzt macht er sein praktisches Jahr.»
    «Und trotzdem
ist sie in Washington geblieben.»
    «Sie
investiert viel in das Projekt», sagte Walter. «Und ehrlich gesagt, ich glaube,
der Freund wird bald abserviert. Er ist ein sehr traditionsbewusster Inder. Als
sie nicht mit ihm nach Nashville gegangen
ist, hat er einen Riesenanfall gekriegt.»
    «Und was
hast du ihr geraten?»
    «Ich habe
versucht, sie dazu zu bewegen, dass sie auf eigenen Beinen steht. Er hätte auch
etwas in Washington finden können, wenn er es wirklich gewollt hätte. Und ich
habe ihr gesagt, sie muss nicht
alles für seine Karriere opfern. Sie und mich verbindet so ein
Vater-Tochter-Ding. Ihre Eltern sind konservativ. Ich glaube, sie arbeitet gern
für jemanden, der an sie glaubt und sie nicht nur als künftige Frau von
irgendwem sieht.»
    «Nur,
damit wir uns verstehen», sagte Katz, «dir ist klar, dass sie in dich verliebt
ist?»
    Walter
errötete. «Ich weiß nicht. Vielleicht ein bisschen. Eigentlich glaube ich, es
ist eher eine Art geistige Idealisierung. Eher etwas Vater-Tochter-Mäßiges.»
    «Ja, träum
weiter, Junge. Soll ich dir etwa glauben, dass du dir nie vorgestellt hast, wie
diese Augen zu dir heraufstrahlen, während ihr Kopf auf deinem Schoß auf und ab
wippt?»
    «0 Gott,
nein. Ich versuche, mir solche Dinge nicht vorzustellen. Schon gar nicht bei
einer Mitarbeiterin.»
    «Aber
vielleicht gelingt es dir nicht immer, es dir nicht vorzustellen.»
    Walter
schaute sich um, um zu erkunden, ob jemand auf dem Bahnsteig mithörte, und
senkte die Stimme. «Abgesehen von allem anderen», sagte er, «finde ich, dass es
etwas objektiv Erniedrigendes hat, wenn eine Frau auf den Knien ist.»
    «Dann Versuchs doch
einfach mal und lass sie das selbst beurteilen.»
    «Also, na
ja, Richard», sagte Walter, noch immer rot, aber auch unwirsch lachend,
«zufällig weiß ich, dass Frauen anders gepolt sind als Männer.»
    «Und was
ist mit der Gleichheit der Geschlechter? Ich meine mich zu erinnern, dass du
mal dafür gewesen bist.»
    «Solltest
du jemals selber eine Tochter haben, wirst du für die weibliche Perspektive
vielleicht etwas mehr Verständnis aufbringen.»
    «Damit
nennst du meinen besten Grund, warum ich keine Tochter will.»
    «Na, wenn
du doch mal eine haben solltest, begreifst du vielleicht das eigentlich nicht
so schwer zu begreifende Faktum, dass sehr junge Frauen ihr Verlangen, ihre
Bewunderung und ihre Liebe manchmal komplett durcheinanderwerfen und nicht
verstehen -»
    «Was nicht
verstehen?»
    «Dass sie
für den Typen bloß ein Objekt sind. Dass der Typ vielleicht nur seinen, na ja,
seinen, also -» Walters Stimme sackte auf Flüsterlautstärke ab - «seinen
Schwanz von einer jungen, hübschen Frau gelutscht haben will. Dass das sein
einziges Interesse sein könnte.»
    «Entschuldige,
das ergibt doch keinen Sinn», sagte Katz. «Was ist schlimm daran, bewundert zu
werden? Das ergibt einfach keinen Sinn.»
    «Ich
möchte eigentlich nicht darüber sprechen.»
    Eine
A-Bahn kam, und sie drängten sich hinein. Fast sofort sah Katz in den Augen
eines Jungen im Collegealter, der an den Türen gegenüber stand, ein Erkennen
aufleuchten. Er senkte den Kopf und wandte sich ab, doch der Junge besaß die
Unverfrorenheit, ihm an die Schulter zu fassen. «Tut mir echt leid», sagte er,
«aber Sie sind doch der Musiker, oder? Sie sind Richard Katz.»
    «Leid?
Vielleicht nicht mehr als mir», sagte Katz.
    «Ich will
Sie nicht belästigen. Ich wollte bloß sagen, dass ich Ihre Sachen echt geil
finde.»
    «Okay,
Mann, danke», sagte Katz, den Blick auf den Boden gerichtet.
    «Besonders
die älteren Sachen, die ich erst jetzt für mich entdecke. Reactionary
Splendor? Wahnsinn. Das ist so scheißgeil. Ich hab's gerade auf
meinem iPod. Hier, hören Sie mal.»
    «Ist schon
gut. Ich glaubs dir.»
    «Ah, klar,
nein, natürlich. Natürlich. Tut mir leid, wenn ich Sie belästige. Ich bin eben
ein großer Fan.»
    «Mach dir
mal deswegen keinen Kopf.»
    Walter
verfolgte diesen Dialog mit einem Gesichtsausdruck, der so alt war wie die
Collegepartys, die er in seinem Masochismus zusammen mit Katz besucht hatte,
einem Ausdruck von Staunen und Stolz, Liebe und Zorn und der Einsamkeit des
Unsichtbaren, wovon Katz rein gar nichts behagte,

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