Franzen, Jonathan
ihren Subarus nach zu urteilen, ehemaligen Basketball-Mannschaftskameradinnen
von ihr, und dann und wann hieß es wieder, sie trinke, aber das war in erster
Linie Spekulation, denn bei all ihrer Freundlichkeit hatte sie sich mit
niemandem in Ramsey Hill je
richtig angefreundet.
Von
Silvester an wohnte Joey wieder bei Carol und Blake.
Ein Großteil der Anziehungskraft, die dieses Haus auf ihn ausübte, wurde
allgemein dem Bett zugeschrieben, das er dort mit Connie teilte. Seine Freunde wussten um seine sonderbare, militante Ablehnung
der Masturbation, deren bloße Erwähnung ihm stets ein herablassendes Lächeln
entlockte; er habe den Ehrgeiz, behauptete er, durchs Leben zu gehen, ohne je
darauf zurückgreifen zu müssen. Scharfsinnigere Nachbarn, darunter die
Paulsens, mutmaßten, dass Joey es überdies genoss, in diesem Haus der
Intelligenteste zu sein. Er wurde zum Fürsten des Mehrzweckraums, dessen
Vergnügungen er allen, die er mit seiner Freundschaft beehrte, zugänglich
machte (und dessen unbeaufsichtigtes Bierfass er in den Tischgesprächen der
gesamten Nachbarschaft zu einem Stein des Anstoßes werden ließ). Sein Verhalten Carol gegenüber grenzte irritierend ans
Flirten, und Blake nahm er für sich ein, indem er sich für all dessen Steckenpferde
begeisterte, insbesondere die Elektrowerkzeuge und den Pick-up, an dessen
Steuer er fahren lernte. Er belächelte den Enthusiasmus seiner Mitschüler für
AI Gore und Senator Wellstone auf eine so unangenehme Weise, als wäre
Liberalismus eine Schwäche und mit Selbstbefleckung gleichzusetzen, was die
Vermutung nahelegte, dass er teilweise sogar Blakes politische Ansichten übernommen
hatte. Im Sommer darauf jedenfalls fuhr er nicht wieder nach Montana, sondern
arbeitete auf dem Bau.
Und jeder,
ob zu Recht oder nicht, hatte das Gefühl, irgendwie sei Walter - Walters
Nettigkeit - an allem schuld. Anstatt Joey an den Haaren nach Hause zu
schleifen und dafür zu sorgen, dass er sich benahm, anstatt Patty ordentlich
eins überzubraten und dafür zu sorgen, dass sie sich benahm, verbarrikadierte
er sich hinter seiner Arbeit für die Naturschutzorganisation, in der er
ziemlich schnell zum Geschäftsführer für Minnesota aufgestiegen war, und ließ
das Haus Abend für Abend verwaist zurück, ließ die Blumenbeete verwahrlosen und
die Hecken verwildern und die Fenster verschmutzen, ließ den schmuddeligen
Stadtschnee das schiefgewordene gore/ LIEBERMANN -Schild verschlingen, das immer noch vor dem Haus
im Boden steckte. Selbst die Paulsens zeigten kein Interesse mehr an den
Berglunds, seit Merrie für den Stadtrat kandidierte. Patty verbrachte den
ganzen nächsten Sommer am Namenlosen See, und kurz nach ihrer Rückkehr - einen
Monat nachdem Joey unter finanziellen Umständen, die in Ramsey Hill nicht bekannt waren, an der University
of Virginia zu studieren begonnen hatte, und zwei Wochen nach
der großen nationalen Tragödie - tauchte ein zu VERKAUFEN -Schild vor der viktorianischen Villa auf, in die
sie und Walter mit ganzer Kraft ihr halbes Leben investiert hatten. Walter
pendelte zu dem Zeitpunkt schon zu einer neuen Arbeitsstelle in Washington. Die
Immobilienpreise sollten kurz darauf beispiellose Höhen erreichen, aber noch
befand sich der lokale Markt nahe der Talsohle der auf den elften September
folgenden Rezession. Patty überwachte den Verkauf des Hauses, zu einem
jämmerlichen Preis, an ein gesetztes schwarzes Ehepaar, beide berufstätig, mit
dreijährigen Zwillingen. Im Februar gingen die zwei Berglunds ein letztes Mal
in der Barrier Street von Tür zu Tür, um sich in
höflicher Form zu verabschieden, Walter, indem er alle nach ihren Kindern
fragte und jedem von ihnen seine besten Wünsche ausrichten ließ, und Patty,
indem sie vorwiegend schwieg, aber wieder merkwürdig jugendlich aussah, wie
die junge Frau, die ihren Kinderwagen schon die Straße entlanggeschoben hatte,
als das Wohnviertel noch gar kein Wohnviertel gewesen war.
«Es ist
ein Wunder», sagte Seth Paulsen hinterher zu Merrie, «dass die beiden überhaupt
noch zusammen sind.»
Merrie
schüttelte den Kopf. «Ich glaube, sie haben bis heute nicht begriffen, wie man
lebt.»
ES WURDEN FEHLER GEMACHT
Patty
Berglunds Autobiographie von Patty Berglund
(verfasst
auf Vorschlag ihres Therapeuten)
Kapitel
1: Umgänglich
Wenn Patty
keine Atheistin wäre, würde sie dem lieben Gott für den Schul- und Collegesport
danken, der ihr quasi das Leben rettete und eine Chance für sie
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