Franzen, Jonathan
Abschluss in Wirtschaftswissenschaften
mache.»
«Das ist
gut. Geld verdienen zu wollen ist nichts Schlechtes. Nun musste ich selbst ja
kein Geld verdienen, wobei ich durchaus behaupten kann, dass ich ganz gut
darin war, das zu verwalten, was mir vermacht wurde. Ich verdanke viel meinem
Urgroßvater in Cincinnati, der mit
leeren Händen hierherkam. Er erhielt in diesem Land eine Chance, was ihm die
Freiheit gab, aus seinen Fähigkeiten das Beste herauszuholen. Deshalb habe ich
mich entschieden, mein Leben so zu verbringen, wie ich es getan habe - dieser
Freiheit Ehre zu machen und mit dafür zu sorgen, dass das nächste amerikanische
Jahrhundert ähnlich gesegnet ist. Geld zu verdienen ist nichts Schlechtes,
überhaupt nicht. Aber es muss noch mehr
in Ihrem Leben geben. Sie müssen sich entscheiden, auf welcher Seite Sie
stehen, und dafür kämpfen.»
«Unbedingt»,
sagte Joey.
«Nächsten
Sommer könnte es am Institut einige gutbezahlte Sommerjobs geben, falls Sie
daran Interesse haben, etwas für Ihr Land zu tun. Seit den Angriffen haben
unsere Spendenaktionen sämtliche Erwartungen übertroffen. Das ist überaus
erfreulich. Sollte Ihnen der Sinn danach stehen, könnten Sie sich überlegen,
ob Sie sich bewerben.»
«Auf jeden
Fall!», sagte Joey. Er kam sich vor wie einer von Sokrates' jungen
Gesprächspartnern, deren Anteil am Dialog Seite um Seite aus Variationen von
«Ja, ohne Frage» und «Das muss zweifellos
so sein» bestand. «Klingt super», sagte er. «Ich bewerbe mich bestimmt.»
Jonathan
unterriss den Zugball und geriet unerwartet mit der Ferrule an die Weiße, wodurch er sämtliche Punkte, die er in seiner Aufnahme
angesammelt hatte, verlor. «Scheiße!», schrie er und fügte sicherheitshalber
noch ein «Scheiße!» hinzu. Er knallte das Queue gegen
die Tischkante; es folgte ein betretener Moment.
«Du musst
besonders vorsichtig sein, wenn du einen hohen Punktestand angehäuft hast»,
sagte sein Vater.
«Das weiß
ich, Dad. Das weiß ich. Ich war auch
vorsichtig. Bloß hat mich eure Unterhaltung ein bisschen abgelenkt.»
«Joey, Sie
jetzt?»
Was hatte
es nur damit auf sich, dass er, wenn er einen Gefühlsausbruch eines Freundes
miterlebte, den unbeherrschbaren Drang hatte zu lächeln? Er fühlte sich
herrlich befreit, weil er sich nicht auf diese Art mit seinem eigenen Vater
auseinandersetzen musste. Mit jedem weiteren Augenblick spürte er, wie noch
mehr von seinem Glück zurückkehrte. Um Jonathans willen war er froh, dass ihm
sein nächster Stoß misslang.
Aber
Jonathan war trotzdem sauer auf ihn. Nachdem sein Vater, zweimal siegreich,
wieder hinaufgegangen war, beschimpfte er Joey in nicht gerade lustiger Weise
als Schwuchtel und meinte schließlich, er halte es für keine besonders gute
Idee, mit Jenna nach New York zu fahren.
«Warum
denn nicht?», sagte Joey wie vom Blitz getroffen.
«Weiß auch
nicht. Mir ist irgendwie nicht danach.»
«Aber das
wird sicher genial. Wir könnten versuchen, bis Ground
Zero vorzudringen, und mal die Lage peilen.»
«Das ganze
Areal ist abgesperrt. Da peilst du gar nichts.»
«Ich will
auch sehen, wo sie die Todoy-Sendung filmen.»
«So ein
Quatsch. Das ist doch bloß ein Fenster.»
«Na komm,
New York! Da müssen wir hin.»
«Dann fahr
mit Jenna. Das willst du doch sowieso, stimmt's? Fahr mit meiner Schwester nach
Manhattan, und im Sommer arbeitest du dann für meinen Dad. Und meine Mom ist eine tolle Reiterin. Vielleicht willst du ja auch mal mit ihr
reiten gehen.»
Das einzig
Schlechte an Joeys Glück
waren die Augenblicke, in denen es auf Kosten anderer zu ihm kam. Da er selbst
noch nie Neid empfunden hatte, war er ungeduldig, wenn sich Neid bei anderen
zeigte. Mehr als einmal hatte er an der Highschool Freundschaften beenden
müssen, wenn es jemand nicht verkraftete, dass er so viele Freunde hatte. Sein
Eindruck war: Verdammt, werd endlich erwachsen. Seine Freundschaft mit
Jonathan hingegen war nicht beendbar, jedenfalls nicht im Verlauf des
Studienjahrs, und obwohl Joey sich über sein Gemuffel ärgerte, war ihm das
Peinvolle daran, ein Sohn zu sein, doch nur zu bekannt.
«Na
schön», sagte er. «Dann bleiben wir eben hier. Kannst mir ja Washington zeigen.
Hast du darauf mehr Bock?»
Jonathan
zuckte die Achseln.
«Im Ernst.
Machen wir Washington unsicher.»
Jonathan
bebrütete das eine Weile. Dann sagte er: «Du hattest ihn in der Mangel, Mann.
Der ganze Quatsch mit der edlen Lüge? Du hattest ihn in der Mangel, und dann
hast du
Weitere Kostenlose Bücher