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Franzen, Jonathan

Franzen, Jonathan

Titel: Franzen, Jonathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Freihheit
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verbreitete sich Jonathans und Jennas Vater in derart
beherrschender Ausführlichkeit über Außenpolitik, dass die anderen Gespräche
nach und nach versiegten. Die truthahnartigen Stränge in seinem Hals waren in
natura deutlicher zu sehen als im Fernsehen, und es zeigte sich, dass sein
weißes, weißes Lächeln nur wegen der beinahe schrumpfkopfähnlichen Kleinheit
seines Schädels so hervorstach. Dass ein derart verhutzelter Mensch die
umwerfende Jenna hatte zeugen können, war für Joey nur noch mehr Beleg seiner
überragenden Bedeutung. Er sprach von der «neuen Ritualmordlegende», die in der
arabischen Welt zirkuliere - der Lüge, in den Zwillingstürmen hätten sich am 11. September keine Juden aufgehalten -, und von der Notwendigkeit,
in Zeiten eines nationalen Notstands üble Lügen mit milden Halbwahrheiten zu
kontern. Er sprach von Platon, als hätte er zu dessen athenischen Füßen
höchstpersönlich die Erleuchtung erlangt. Er erwähnte die Mitglieder des
Präsidentenkabinetts, indem er ihre Vornamen nannte, und erläuterte, wie «wir»
den Präsidenten «bearbeitet» hätten, diesen einzigartigen historischen
Augenblick dazu zu nutzen, eine äußerst hartnäckige geopolitische Pattsituation
zu lösen und die Sphäre der Freiheit radikal zu erweitern. Zu normalen Zeiten,
sagte er, sei die öffentliche Meinung in Amerika weitgehend isolationistisch
und unwissend, die Terrorangriffe hätten «uns» jedoch die einmalige Gelegenheit
eröffnet, die erste seit dem Ende des Kalten Krieges, um genau zu sein, dass
«der Philosoph»
    (welcher
genau, wusste Joey nicht so recht zu sagen, oder er hatte einen früheren Bezug
verpasst) auf den Plan trete und das Land im Zuge der Mission, die seine
Philosophie als wahr und nötig offenbart habe, eine. «Wir müssen uns damit
anfreunden, es mit einigen Fakten nicht allzu genau zu nehmen», sagte er
lächelnd zu einem Onkel, der ihn im Hinblick auf die nuklearen Möglichkeiten
des Irak sanft angegangen hatte. «Unsere modernen Medien sind sehr
verschwommene Schatten an der Wand, und der Philosoph muss bereit sein, diese Schatten im Dienste einer höheren Wahrheit zu
manipulieren.»
    Zwischen Joeys Impuls, Jenna zu beeindrucken, und den Wörtern, die infolgedessen aus
ihm herausbrachen, lag nur eine kurze Schrecksekunde des freien Falls. «Aber
woher wissen Sie, dass das die Wahrheit ist?», rief er.
    Alle
Gesichter drehten sich zu ihm hin, und sein Herz fing an zu hämmern.
    «Das
wissen wir nie mit Gewissheit», sagte Jennas Vater und zog seine Lächelnummer
ab. «Da haben Sie völlig recht. Aber wenn wir erkennen, dass unsere Weltsicht,
basierend auf Jahrzehnten sorgfältiger empirischer Studien der allerbesten
Köpfe, in auffallender Übereinstimmung mit dem induktiven Prinzip der
allgemeinen Freiheit des Menschen steht, dann ist das ein gutes Anzeichen dafür,
dass wir gedanklich wenigstens annähernd richtig liegen.»
    Joey
nickte eifrig, um seine absolute und tiefgehende Zustimmung zu bekunden, und
war überrascht, dass er, ganz gegen seinen Willen, weiterbohrte: «Aber wenn
wir anfangen, Lügen über den Irak zu verbreiten, sind wir doch nicht besser als
die Araber mit ihrer Lüge, dass am n. September keine Juden getötet worden
sind.»
    Jennas
Vater, nicht im mindesten aus der Fassung gebracht, sagte: «Sie sind ein sehr
aufgeweckter junger Mann, wie?»
    Joey
wusste nicht, ob das ironisch gemeint war.
    «Jonathan
zufolge sind Sie ein sehr guter Student», fuhr der alte Mann freundlich fort.
«Ich nehme daher an, Sie haben schon einmal die Erfahrung gemacht, anderer,
nicht so aufgeweckter Leute wegen frustriert zu sein. Weil die nicht nur
unfähig sind, sondern sich auch dagegen sperren, gewisse
Wahrheiten anzuerkennen, deren Logik sich Ihrer Meinung nach von selbst
versteht. Ja weil es sie anscheinend gar nicht kümmert, dass ihre
Logik schlecht ist. Kennen Sie solche Frustrationen nicht?»
    «Aber das
kommt doch daher, dass sie frei sind», sagte Joey. «Ist das nicht der Sinn der
Freiheit? Dass man das Recht hat zu denken, was man will? Na ja, zugegeben,
manchmal geht einem das schon auf den Zeiger.»
    Rings um
den Tisch wurde darüber gekichert.
    «Das ist
vollkommen richtig», sagte Jennas Vater. «Freiheit geht einem auf den Zeiger.
Und genau deswegen ist es so unabdingbar, die Gelegenheit zu ergreifen, die
sich uns in diesem Herbst geboten hat. Wir müssen eine Nation freier Menschen
dazu bringen, von ihrer schlechten Logik abzulassen und sich einer

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