Franzen, Jonathan
plötzlich dieses unterwürfige Grinsen aufgesetzt. Du bist so ein
beschissener schwuler Schleimer.»
«Ja, du
hast aber auch nichts gesagt», sagte Joey. «Das hab ich schon hinter mir.»
«Warum
soll ich es mir dann antun?»
«Weil du
es noch nicht hinter dir hast. Du hast dir nicht das Recht dazu verdient. Du
hast dir bisher einen Scheiß verdient.»
«Sagte der
Junge mit dem Land Cruiser.»
«Pass auf,
ich will darüber nicht mehr sprechen. Ich geh was lesen.»
«Schön.»
«Ich fahre
mit dir nach New York. Es ist mir auch egal, ob du mit meiner Schwester
schläfst. Wahrscheinlich verdient ihr einander.»
«Was soll
das denn heißen?»
«Wirst
schon sehen.»
«Lass uns
doch einfach Freunde sein, ja? Ich muss nicht nach
New York.»
«Doch, wir
fahren», sagte Jonathan. «Es ist zwar lächerlich, aber ich will dieses Cabrio
wirklich nicht.»
Oben in
seinem nach Truthahn riechenden Zimmer fand Joey auf dem Nachttisch einen
Stapel Bücher vor - Ehe Wiesel, Chaim Potok, Exodus,
Die Geschichte der Juden -, dazu einen Zettel von Jonathans
Vater: Einige Anregungen für Sie. Zum Behalten oder Weitergeben.
Howard. Er blätterte darin und empfand sowohl einen tiefen Mangel
an persönlichem Interesse als auch einen sich vertiefenden Respekt vor denen,
die dieses Interesse hatten, und da schwoll seine Wut auf seine Mutter erneut
an. Ihre Respektlosigkeit gegenüber Glaubensdingen erschien ihm nur als
weiteres Zeichen ihres Ich-ich-ich: ihres konkurrenzgeilen, kopernikanischen
Wunsches, die Sonne zu sein, um die sich alles drehte. Bevor er sich schlafen
legte, wählte er noch die 411 und ließ sich die Nummer von Abigail Emerson in Manhattan geben.
Am
nächsten Morgen, Jonathan schlief noch, rief er Abigail an, stellte sich als der Sohn ihrer Schwester vor und sagte, er komme
nach New York. Als Antwort keckerte seine Tante seltsam und fragte ihn, ob er
etwas vom Klempnern verstehe. «Wie bitte?»
«Alles
geht runter, aber nichts bleibt unten», sagte Abigail. «Irgendwie so wie bei mir nach zu viel Brandy.» Sodann erzählte sie
ihm von der niedrigen Höhe über dem Meeresspiegel und den antiquierten
Abwasserkanälen von Greenwich Village, von den
Feiertagsplänen ihres Hausmeisters, vom Für und Wider von Parterrewohnungen,
die auf den Hof hinausgehen, und von dem «Vergnügen», an Thanksgiving um Mitternacht nach Hause zu kommen und zu sehen, wie die
unvollständig zersetzten Hinterlassenschaften der Nachbarn in der Badewanne
schwammen und an den Gestaden ihrer Küchenspüle angetrieben waren. «Das ist
sehrrrrrrr, sehr reizend», sagte sie. «Der perfekte Start ins lange Wochenende
ohne Hausmeister.»
«Ja, also,
ich dachte, vielleicht könnten wir uns mal treffen oder so», sagte Joey. Er
bereute es fast schon wieder, doch seine Tante wurde auf einmal zugänglich, als
wäre ihr Monolog etwas gewesen, das sie nur eben aus sich hatte herausspülen
müssen.
«Weißt
du», sagte sie, «ich habe Fotos von dir und deiner Schwester gesehen.
Sehrrrrrr hübsche Bilder, in eurem sehrrrrr schönen Haus. Ich glaube, ich würde
dich sogar auf der Straße erkennen.»
«M-hm.»
«Im Moment
ist meine Wohnung leider nicht so schön. Und sie duftet auch ein wenig! Aber
wenn du dich mit mir in meinem Lieblingscafe treffen möchtest, wo dich der
schwulste Kellner im Village, der auch
mein bester Kumpel ist, bedient, würde ich mich sehrrrrr freuen. Dann erzähle
ich dir alles über uns, was deine Mutter dir vorenthalten will.»
Das fand
Joey gut, und so verabredeten sie sich.
Für die
Fahrt nach New York brachte Jenna eine Highschool-Freundin namens Bethany mit, deren Aussehen nur vergleichsweise gewöhnlich war. Die beiden
setzten sich nach hinten, wo Joey Jenna nicht sehen konnte, und bei dem
endlosen CD-Radio-Gegreine Slim Shadys und
Jonathans Mitsingen der Texte konnte er auch nicht hören, worüber sie und Bethany sich unterhielten. Der einzige Austausch zwischen hinten und vorn war
Jennas Kritik am Fahrstil ihres Bruders. Als hätte sich seine Wut auf Joey vom
Vorabend in Aggressivität am Steuer verwandelt, fuhr Jonathan bei Tempo 120 zu
dicht auf und schimpfte brummelnd über weniger aggressive Fahrer; überhaupt
hatte er offensichtlich seine helle Freude daran, ein Arschloch zu sein.
«Danke, dass du uns nicht umgebracht hast», sagte Jenna, als der Geländewagen
in einem horrend teuren Parkhaus in Midtown zum Stehen gekommen und die Musik
endlich verstummt war.
Die Reise
ließ bald alle Anzeichen einer Pleite
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