Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Franzen, Jonathan

Franzen, Jonathan

Titel: Franzen, Jonathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Freihheit
Vom Netzwerk:
erkennen. Jennas Freund Nick teilte sich
mit zwei anderen Wall-Street-Trainees, die ebenfalls übers Wochenende weg
waren, eine weitläufige, im Verfall begriffene Wohnung in der 54 th Street. Joey wollte die Stadt sehen, und noch entschiedener wollte er
vor Jenna nicht als kleiner, Eminem hörender Jungspund dastehen, allerdings war
das Wohnzimmer mit einem riesigen Plasmafernseher und der neuesten Xbox
ausgestattet, und Jonathan beharrte darauf, sich mit ihm sofort daran zu
amüsieren. «Bis dann, Jungs», sagte Jenna und zog mit Bethany los, um sich mit weiteren Freundinnen zu treffen. Drei Stunden danach,
als Joey vorschlug, einen Spaziergang zu machen, bevor es dazu zu spät geworden
sei, sagte Jonathan, er solle nicht so eine Schwuchtel sein.
    «Was ist
denn los mit dir?», sagte Joey.
    «Nein,
entschuldige, was ist mit dir los? Hättest
ja mit Jenna mitlatschen können, wenn du Mädchenkram machen willst.»
    Mädchenkram
zu machen barg für Joey tatsächlich großen Reiz. Er mochte Mädchen, er
vermisste ihre Gesellschaft und die Art und Weise, wie sie über Dinge redeten;
er vermisste Connie. «Du warst doch derjenige, der shoppen gehen wollte.»
    «Was soll
das, ist dir meine Hose am Hintern etwa nicht eng genug?»
    «Vielleicht
wäre es auch ganz nett, irgendwo was zu essen?»
    «Genau,
was Romantisches, bloß wir beide.»
    «New
Yorker Pizza? Soll das nicht die beste der Welt sein?»
    «Nein, das
ist die New Havener.»
    «Okay,
dann eben ein Deli. New Yorker Deli. Ich bin am Verhungern.»
    «Dann sieh
doch mal in den Kühlschrank.»
    «Sieh du
doch in den Scheißkühlschrank. Ich muss hier mal
raus.»
    «Na toll.
Dann geh doch.»
    «Bist du
hier, wenn ich zurückkomme? Damit ich reinkann?»
    «Ja,
Schatz.»
    Einen Kloß
in der Kehle, mädchenhaft den Tränen nahe, ging Joey hinaus in die Nacht. Dass
Jonathan derart die Fassung verlor, enttäuschte ihn maßlos. Mit einem Mal
spürte er seine überlegene Reife, und während er durch die späten Käufermassen
auf der Fifth Avenue
driftete, überlegte er, wie er diese Reife Jenna vermitteln könnte. Er kaufte
zwei polnische Würste an einem Stand und drängte sich durch die noch dichteren
Massen am Rockefeiler Center, wo er den Eisläufern zusah und den gewaltigen,
lichtlosen Weihnachtsbaum und die in erregendes Flutlicht getauchten Höhen des
NBC Tower bewunderte. Dann mochte er also Mädchenkram, na und? Deshalb war er
noch lange kein Weichei. Es machte ihn nur sehr einsam. Als er den Eisläufern
zusah, bekam er Heimweh nach St. Paul und rief Connie an. Sie war auf ihrer
Schicht bei Frost's und hatte
gerade so viel Zeit, dass er ihr sagen konnte, wie sehr er sie vermisste und wo
er gerade stand und dass er wünschte, er könnte es ihr zeigen.
    «Ich liebe
dich, Baby», sagte sie.
    «Ich dich
auch.»
    Am
nächsten Morgen erhielt er bei Jenna seine Chance. Anscheinend war sie
Frühaufsteherin und schon draußen gewesen, um Sachen fürs Frühstück zu kaufen,
als Joey, der ebenfalls früh aufstand, im T-Shirt der University
of Virginia und mit Paisley-Boxershorts in die Küche
schlurfte. Als er sie mit einem Buch am Tisch sitzen sah, kam er sich ziemlich
splitternackt vor.
    «Ich habe
dir und meinem unwürdigen Bruder Bagels mitgebracht»,
sagte sie.
    «Danke»,
sagte er und fragte sich, ob er wieder kehrtmachen und sich eine Hose anziehen
oder einfach zeigen sollte, was er zu bieten hatte. Da sie kein weiteres
Interesse an ihm bekundete, entschied er sich für das Risiko, sich nicht
anzuziehen. Während er dann aber darauf wartete, dass sein Bagel getoastet war,
und verstohlene Blicke auf ihre Haare, ihre Schultern und ihre nackten,
überkreuzten Beine warf, bekam er einen Ständer. Er wollte schon ins Wohnzimmer
flüchten, als sie aufblickte und sagte: «Was ist das denn für ein Buch? Das
ist. ja tödlich langweilig.»
    Er ging
hinter einem Stuhl in Deckung. «Wovon handelt es denn?»
    «Ich
dachte eigentlich, es geht um Sklaverei. Jetzt ist mir aber gar nichts mehr
klar.» Sie zeigte ihm zwei gegenüberliegende Seiten dichter Prosa. «Das soll es
bringen? Ich lese es jetzt zum zweiten Mal. Es handelt so ungefähr von der
Hälfte der Syllabusse an der Duke. Der Syllabi. Und ich
werde noch immer nicht schlau daraus, was es überhaupt soll. Also, was
überhaupt mit den Figuren und so passiert.»
    «Letztes
Jahr hab ich für die Schule Solomons Lied gelesen»,
sagte Joey. «Ich fand das ganz schön irre. So ziemlich der beste Roman, den
ich je gelesen

Weitere Kostenlose Bücher