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Franzen, Jonathan

Franzen, Jonathan

Titel: Franzen, Jonathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Freihheit
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entweder sehr geschickt mit Make-up oder hatte davon
nicht viel aufgelegt. Er nahm ihre guten Manieren zur Kenntnis, die sich darin
manifestierten, dass sie mit kahlköpfigen Onkeln und gelifteten Tanten, die ihr
anscheinend viel zu sagen hatten, geduldig war.
    Bevor das
Abendessen aufgetragen wurde, verzog er sich noch auf sein Zimmer, um in St.
Paul anzurufen. Connie anzurufen kam in seinem momentanen Zustand nicht in
Frage; jetzt beschlich ihn Scham über ihre schmutzigen Gespräche, die sich den
ganzen Herbst über seltsamerweise nicht eingestellt hatte. Seine Eltern waren
jedoch etwas anderes, wenn auch nur wegen der inzwischen eingelösten Schecks
seiner Mutter.
    In St.
Paul meldete sich sein Dad und redete mit ihm nicht länger als zwei Minuten, um
ihn dann an seine Mutter weiterzureichen, was Joey wie eine Art Verrat vorkam.
Im Grunde hatte er vor seinem Dad ganz schön viel Respekt - wegen der
Beständigkeit seiner Missbilligung, wegen der Strenge seiner Prinzipien -, und
er hätte eventuell noch mehr Respekt gehabt, wenn sein Dad seiner Mutter
gegenüber nicht so ehrerbietig gewesen wäre. Joey hätte etwas männliche Stütze
gebrauchen können, doch stattdessen reichte sein Dad ihn immerzu an seine Mom weiter und hielt sich heraus.
    «Hallo,
du», sagte sie mit einer Wärme, bei der sich alles in ihm zusammenzog. Er
fasste sogleich den Beschluss, hart zu ihr zu sein, doch wie so oft zermürbte
sie ihn mit ihrem Humor und ihrem kaskadenartigen Lachen. Ehe er sich's
versah, hatte er ihr die gesamte Szenerie in McLean beschrieben, ausgenommen Jenna.
    «Ein Haus
voller Juden!», sagte sie. «Wie interessant für dich.»
    «Du bist
doch selbst Jüdin», sagte er. «Und das macht auch mich zum Juden. Und auch
Jessica und Jessicas Kinder, sollte sie welche kriegen.»
    «Nein, das
gilt nur, wenn du das Dogma mit Löffeln gefressen hast», sagte seine Mutter.
Nach einem Vierteljahr an der Ostküste konnte Joey bei ihr einen kleinen
Minnesota-Akzent heraushören.
    «Weißt
du», sagte sie, «ich glaube, wenn es um Religion geht, bist du nur das, was du
selber von dir sagst. Niemand anderes kann es für dich sagen.»
    «Aber du bist doch gar
nicht religiös.»
    «Genau
darauf will ich hinaus. Das war eines der wenigen Dinge, über die meine Eltern,
Gott schütze sie, und ich uns einig waren. Dass Religion albern ist. Auch wenn
meine Schwester jetzt anscheinend anderer Ansicht ist als ich, was bedeutet,
dass unser Ruf, bei absolut allem verschiedener Meinung zu sein, noch immer
unbefleckt ist.»
    «Welche
Schwester?»
    «Deine
Tante Abigail. Sie steckt anscheinend tief in der
Kabbala und entdeckt ihre jüdischen Wurzeln neu, so wie sie eben sind. Woher
ich das weiß, fragst du? Weil wir von ihr einen Kettenbrief, vielmehr eine Ketten-Mail, über die Kabbala bekommen haben. Ich hielt
das für ziemlich schlechten Stil, also habe ich ihr zurückgemailt und sie
gebeten, mir bitte keine Kettenbriefe mehr zu schicken, und darauf hat sie mir
in ihrer Antwort von ihrer erzählt.»
    «Ich weiß
nicht mal, was die Kabbala ist», sagte Joey.
    «Ach, das
würde sie dir sicher gern erzählen, solltest du je Kontakt mit ihr aufnehmen
wollen. Die Kabbala ist sehr bedeutsam und mystisch - ich glaube, Madonna steht darauf, was dir so ziemlich alles sagt, was
du dazu wissen musst.»
    «Madonna
ist Jüdin?»
    «Jaa,
Joey, deshalb der Name.» Seine Mutter lachte ihn aus.
    «Na, egal»,
sagte er, «ich versuche, offen dafür zu sein. Ich möchte nicht gern etwas
ablehnen, wozu ich mir noch gar keine Meinung bilden konnte.»
    «Stimmt.
Und wer weiß? Es könnte dir ja noch nützlich werden.»
    «Könnte»,
sagte er kühl.
    An dem
sehr langen Esstisch wurde er auf dieselbe Seite wie Jenna platziert, was ihm
ihren Anblick ersparte und ihm gestattete, sich auf die Konversation mit einem
der glatzköpfigen Onkel zu konzentrieren, der ihn für einen Juden hielt und mit
einer Schilderung seiner jüngsten Urlaubs-Schrägstrich-Geschäftsreise nach
Israel ergötzte. Joey gab sich bewandert und beeindruckt von vielem, das ihm
gänzlich fremd war: der Klagemauer mit ihren Tunneln, der Davidszitadelle,
Masada, Yad Vashem. Verzögerter Unmut über seine Mutter, dazu das fabelhafte
Haus und seine Faszination von Jenna sowie ein gewisses unbekanntes Gefühl
echter intellektueller Neugier, das alles weckte in ihm die Sehnsucht,
jüdischer zu sein - herauszufinden, wie diese Art der Zugehörigkeit wohl sein
mochte.
    Am anderen
Ende des Tisches

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