Franzen, Jonathan
Doppelreihen und waren ansonsten quer in jeden Spalt gezwängt. Selbst die
Bücher hielt Abigail besetzt;
sie behandelten Themen wie Flow, kreative Visualisierung und die Überwindung
von Selbstzweifeln. Auch gab es alles mögliche mystische Beiwerk, nicht nur
Judaika, sondern auch fernöstliche Räucherstäbchenhalter und elefantenköpfige
Statuetten. Das Einzige, wovon es nicht eben viel gab, waren Nahrungsmittel.
Während er in der Küche umherging, wurde Joey klar, dass er, wollte er nicht
dreimal täglich Pizza essen, tatsächlich einen Supermarkt aufsuchen und
einkaufen und kochen musste. Abigails Nahrungsvorräte
bestanden aus Reiskuchen, siebenundvierzig Sorten Schokolade und Kakao sowie
Instant-Ramen-Nudeln, die ihn für zehn Minuten sättigten und ihm dann ein
neuerliches nagendes Hungergefühl bereiteten.
Er dachte
an das geräumige Haus in der Barrier Street, er
dachte an die hervorragenden Kochkünste seiner Mutter, er fragte sich, ob er
einknicken und das angebotene Flugticket seines Vaters annehmen sollte, doch
er war entschlossen, seinem verborgenen Ich nicht noch mehr Gelegenheiten zu
geben, sich Luft zu machen, und das Einzige, was er tun konnte, um nicht weiter
an St. Paul zu denken, war, in Abigails Messingbett
zu steigen und sich einen runterzuholen und dann noch einen, während die Katzen
vor der Schlafzimmertür vorwurfsvoll jaulten, und dann, noch immer nicht
befriedigt, den Computer seiner Tante hochzufahren, da er in der Wohnung mit
seinem eigenen nicht ins Internet kam, und auf eine Pornoseite zu gehen und
sich nochmal einen runterzuholen. Wie üblich führte jede kostenlose Seite, auf
die er gelangte, zu einer, die noch geiler, noch unwiderstehlicher war. Eine
dieser besseren Seiten generierte schließlich Pop-up-Fenster wie im Albtraum
eines Zauberlehrlings; es wurde so schlimm, dass er den Computer abschalten
musste. Als er ihn ungeduldig wieder hochfuhr, seinen missbrauchten, klebrigen
Schwanz schon schlaff in der Hand, war das System von einer Software in
Beschlag genommen worden, die die Festplatte überlastete und die Tastatur
blockierte. Was soll's, dann hatte er den Computer seiner Tante eben infiziert.
Allerdings rückte jetzt das Einzige auf der Welt, was er wollte, in weite
Ferne, nämlich noch ein hübsches, ekstatisch geweitetes Frauengesicht, damit
er ein fünftes Mal kommen und ein wenig Schlaf finden konnte. Bemüht, genügend
erinnerte Bilder aufzurufen, schloss er die Augen und wichste, um die Sache
hinter sich zu bringen, doch das Miauen der Katzen lenkte ihn zu sehr ab. Er
ging in die Küche und köpfte eine Flasche Brandy, deren Ersatz, so seine
Hoffnung, nicht allzu teuer sein würde.
Als er am
folgenden Spätvormittag verkatert erwachte, roch er etwas, Katzenscheiße, wie
er glauben wollte, was sich aber, als er sich in das beengte, infernalisch
überhitzte Bad vorwagte, als ungeklärtes Abwasser erwies. Er rief den
Hausmeister an, Mr. Jimenez, der zwei
Stunden später mit einem Einkaufswagen voller Klempnerwerkzeug eintraf.
«Der alte
Bau hier hat ne Menge Probleme», sagte Mr. Jimenez und schüttelte fatalistisch den Kopf. Er empfahl Joey, den Stöpsel in
den Wannenabfluss zu stopfen und die Waschbecken fest zu verschließen, wenn er
sie nicht benutzte. Diese Instruktionen standen auch, neben komplizierten
Anweisungen zur Katzennahrung, auf Abigails Liste,
doch in seiner hastigen Flucht aus der Wohnung zu Casey hatte Joey vergessen, sie zu befolgen. «Jede Menge Probleme», sagte
Mr. Jimenez und drückte den Unrat des West
Village mit einem Plömpel zurück in den Abfluss.
Sobald
Joey wieder allein war und sich aufs Neue mit dem Gespenst von zwei Wochen Einsamkeit,
Brandy-Missbrauch und/oder Masturbation konfrontiert sah, rief er Connie an und
sagte ihr, dass er, wenn sie kommen und bei ihm sein wolle, ihr ein Busticket
kaufen werde. Sie war sofort einverstanden, nur nicht damit, dass er bezahlte;
und seine Ferien waren gerettet.
Er heuerte
einen Computerfreak an, der ihm den Computer seiner Tante reparierte und seinen
eigenen neu einrichtete, gab bei Dean & DeLuca sechzig Dollar für
Fertiggerichte aus, und als er zum Port Authority fuhr und
Connie an ihrem Steig abholte, glaubte er, noch nie so glücklich gewesen zu
sein, sie zu sehen. Den ganzen letzten Monat über hatte er sie im Geiste mit
der unvergleichlichen Jenna verglichen und aus dem Blick verloren, wie schön
sie auf ihre schlanke, sparsame, glühende Weise selber war. Sie trug eine ihm
unbekannte
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