Franzen, Jonathan
Pantomimen oder Clowns sein mussten und mit denen in zunehmendem
Kontakt zu stehen sie sich glücklich schätzte, wenngleich der Kontakt nach wie
vor hauptsächlich via Workshops bestand. Während sie so dahinredete, merkte er,
dass er ihre Entschlossenheit bewunderte, sich ohne jedweden Erfolg der Art,
wie er für ihn durchaus noch erreichbar war, über Wasser zu halten. Sie war so
schrullig und selbstbezogen, dass ihm der Verdruss von Schuldgefühlen erspart
blieb und er direkt zum Mitleid übergehen konnte. Er merkte, dass er seiner
Tante als Repräsentant nicht nur seines Glücks, sondern auch des Glücks ihrer
Schwester keine größere Freundlichkeit erweisen konnte, als ihr zu erlauben,
sich vor ihm zu rechtfertigen, und ihr zu versprechen, sich gleich bei nächster
Gelegenheit einen Auftritt von ihr anzusehen. Dafür belohnte sie ihn mit dem
Angebot, bei ihr einzuhüten.
Seine
ersten Tage in der Stadt, in denen er mit seinem Wohnheimgenossen Casey die Läden abklapperte, waren wie hyperlebendige Fortsetzungen der
Urbanen Träume, die er jede Nacht hatte. Die Menschheit strömte von allen
Seiten auf ihn ein. Auf dem Union Square pfiffen und trommelten Musiker aus den
Anden. Feuerwehrleute nickten feierlich der Menge zu, die sich um einen 11.-September-Schrein
vor einer Feuerwache scharte. Vor Bloomingdale's bemächtigten sich zwei in
Pelz gehüllte Damen tollkühn eines Taxis, das Casey herangewinkt hatte. Tres scharfe
Realschulmädchen mit Jeans unter dem Minirock lümmelten mit breit gespreizten
Beinen in der U-Bahn. In düstere Jumbo-Parkas gekleidete Ghetto-Kids mit
Cornrows, Nationalgardisten, die vor der Grand Central mit Hightech-Waffen
patrouillierten. Und dann noch die chinesische Großmutter, die DVDs von Filmen
verhökerte, die noch gar nicht angelaufen waren, der Breakdancer, der sich
einen Muskel oder eine Sehne gerissen hatte und sich auf dem Boden einer Bahn
der Linie 6 unter Schmerzen wiegte, der
hartnäckige Saxophonspieler, dem Joey, trotz Caseys Warnung, er werde übers Ohr
gehauen, fünf Dollar gab, damit er zu seinem Gig fahren konnte: Jede Begegnung
war wie ein Gedicht, das er sich auf der Stelle einprägte.
Caseys
Eltern wohnten in einem Apartment mit direktem Zugang zum Lift, ein Muss, wie Joey fand, sollte er in New York je den großen Wurf schaffen. An
Heiligabend und am Ersten Weihnachtsfeiertag ging er zu ihnen zum Abendessen,
womit er die Lügen über seinen Aufenthaltsort während der Ferien stützte, die
er seinen Eltern aufgetischt hatte. Am nächsten Morgen machten sich Casey und seine Familie jedoch zu einer Skireise auf, und Joey wusste, dass
er ihre Gastfreundschaft ohnehin nicht noch länger in Anspruch nehmen konnte. Als
er in Abigails muffige, vollgerümpelte Wohnung
zurückkehrte und sah, dass sich Piglet und/oder
Tigger in strafendem Katzenprotest gegen seine lange Abwesenheit an mehreren
Stellen erbrochen hatten, wurde er der merkwürdigen Idiotie seines Plans
gewahr, dort zwei ganze Wochen allein zu verbringen.
Sogleich
machte er alles noch schlimmer, indem er mit seiner Mutter sprach und
einräumte, dass einige seiner Pläne «geplatzt» seien und er «stattdessen» bei
ihrer Schwester einhüte.
«In Abigails Wohnung?», sagte sie. «Allein? Ohne dass sie überhaupt mit mir
gesprochen hat? In New York? Allein?»
«Klar»,
sagte Joey.
«Entschuldige»,
sagte sie, «aber du musst ihr sagen, dass das nicht in Ordnung ist. Sag ihr,
sie soll mich auf der Stelle anrufen. Heute Abend noch. Auf der Stelle. Sofort.
Unbedingt.»
«Dafür ist
es viel zu spät. Sie ist längst in Frankreich. Aber das geht schon. Die Gegend
ist wirklich sicher.»
Doch seine
Mutter hörte nicht zu. Sie hatte mit seinem Vater einen Wortwechsel, der für
Joey nicht zu verstehen war, aber etwas hysterisch klang. Und dann meldete sich
sein Dad.
«Joey? Hör
mal zu. Bist du da?»
«Wo soll
ich denn sonst sein?»
«Hör mal
zu. Wenn du nicht über den Anstand verfügst, ein paar Tage bei deiner Mutter in
einem Haus zu verbringen, das ihr so viel bedeutet und in das du nie wieder
einen Fuß setzen wirst, dann ist mir das gleich. Es war deine schreckliche
Entscheidung, die du bei Gelegenheit bereuen kannst. Und das Zeug, das du in
deinem Zimmer gelassen hast, obwohl wir gehofft hatten, dass du herkommen und
es wegschaffen würdest - das geben wir dann eben zur Wohlfahrt oder lassen es
von der Müllabfuhr abholen. Das ist dann dein Verlust, nicht unserer. Aber
allein in einer Stadt zu sein, in
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