Franzen, Jonathan
er
angefangen hat zu arbeiten. Er trinkt einen Jack Cola die Woche oder so.
Konzentriert sich total auf seine Karriere. Er war der Erste in seiner Familie,
der vier Jahre lang am College war, das totale Gegenteil von meiner, wo du ein Versager bist, wenn
du nur einen Doktortitel hast.»
«Und er
ist nett zu dir?»
Ein
Schatten von irgendetwas flog ihr über das Gesicht, und sie sah weg. «Bei ihm
fühle ich mich unglaublich sicher. Zum Beispiel habe ich gedacht, dass er uns,
wenn wir am n. September in den Türmen, sogar in einem der Stockwerke ganz
oben, gewesen wären, irgendwie rausgebracht hätte. Mit ihm wäre ich
rausgekommen, das habe ich im Gefühl.»
«Bei Cantor Fitzgerald gab es viele wie ihn», sagte Joey. «Sehr taffe Trader. Und die sind nicht rausgekommen.»
«Dann
waren sie eben nicht wie Nick», sagte sie.
Als Joey
sah, wie sie sich innerlich verschloss, überlegte er, wie sehr er sich wohl
stählen und wie viel Geld er verdienen müsste, um bei ihresgleichen überhaupt
ins Rennen gehen zu können. Sein Schwanz in seinen Shorts regte sich wieder,
als wollte er sich der Herausforderung gewachsen zeigen. Seine weicheren Teile
jedoch, sein Herz und sein Gehirn, versanken angesichts der ungeheuren Größe
dieser Aufgabe in Hoffnungslosigkeit.
«Vielleicht
gehe ich heute mal zur Wall Street und sehe mir das an», sagte er.
«Samstags
ist alles zu.»
«Ich will
nur mal peilen, wie es da aussieht, vielleicht arbeite ich da ja mal.»
«Nichts
für ungut?», sagte Jenna und schlug ihr Buch wieder auf. «Dafür wirkst du viel
zu nett.»
Vier
Wochen später war Joey wieder in Manhattan und hütete bei seiner Tante Abigail ein. Den ganzen Herbst über hatte er sich den Kopf zerbrochen, wo er
die Weihnachtsferien verbringen sollte, da seine beiden konkurrierenden
Zuhauses in St. Paul einander ausschlossen und drei Wochen viel zu lang waren,
um sich bei der Familie eines neuen Collegefreundes einzuquartieren. Er hatte
den vagen Plan gehabt, sich bei einem seiner besseren Highschool-Freunde aufzuhalten,
was ihm ermöglicht hätte, seinen Eltern und den Monaghans getrennte Besuche
abzustatten; dann aber stellte sich heraus, dass Abigail über die Feiertage nach Avignon fahren
wollte, um an einem internationalen Pantomime-Workshop teilzunehmen, und sich
an dem Thanksgiving-Wochenende, an dem sie sich getroffen hatten, ihrerseits
Gedanken machte, wer währenddessen wohl in ihrer Wohnung in der Charles Street
sein und die komplexen Nahrungsbedürfnisse ihrer Katzen Tigger und Piglet befriedigen würde.
Das
Treffen mit seiner Tante war aufschlussreich, wenn auch einseitig gewesen. Abigail war zwar jünger als seine Mutter, sah aber in jeder Hinsicht älter
aus, nur nicht in der der Kleidung, die ihm teenagerhaft nuttig vorkam. Sie
roch nach Zigaretten, und sie hatte eine herzzerreißende Art, ihr Stück
Schokoladenmousse-Kuchen zu essen, indem sie ihn vorab Bissen für Bissen
zerteilte, um ihn desto intensiver zu genießen, als wäre er das Beste, was ihr
an jenem Tag widerfahren sollte. Die wenigen Fragen, die sie Joey stellte,
beantwortete sie sich selbst, bevor er auch nur piep sagen konnte. Größtenteils
hielt sie einen Monolog samt ironischen Kommentaren und relativierenden
Einwürfen, der etwas von einem Zug hatte, auf den er aufspringen durfte, um
eine Weile mitzufahren, wobei er sich den Kontext selbst liefern und bei vielen
Bezügen raten musste. Mit ihrem Gequassel wirkte sie auf ihn wie eine traurige
Comic-Version seiner Mutter, eine Mahnung, wie sie werden könnte, wenn sie
nicht aufpasste.
Anscheinend
war für Abigail allein
schon Joeys Existenz ein Vorwurf, der eine
ausgedehnte Schilderung ihres Lebens erforderte. Die traditionelle
Heirat-Kinder-Eigenheim-Geschichte war nicht ihr Ding, sagte sie, ebenso wenig
die seichte Kommerzwelt des konventionellen Theaters mit seinen demütigend
abgekarteten Vorsprechterminen und seinen Casting-Chefs, die immer nur das
neueste Sternchen wollten und nicht das Geringste über Originalität des
Ausdrucks wussten, ebenso wenig die Welt der Stand-up-Comedy, in der Fuß zu
fassen sie sich, ausgerüstet mit tollem Material über die Wahrheit einer
amerikanischen Vorstadtkindheit, sehrrrrr lange bemüht hatte, bis sie
irgendwann einsah, dass einzig und allein Testosteron und Toilettenwitze
zählten. Sie zog erschöpfend über die Komödiantinnen Tina Frey und Sarah Silverman her und pries dann das Genie diverser «Künstler», die, wie Joey
mutmaßte,
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