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Franzen, Jonathan

Franzen, Jonathan

Titel: Franzen, Jonathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Freihheit
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umgänglich, und dann sind wir tot.»
    «Die
Erderwärmung ist eine riesige Bedrohung», sagte Walter, den Köder verweigernd,
«aber sie ist trotzdem nicht so schlimm wie radioaktiver Müll. Es hat sich
gezeigt, dass die Arten sich viel schneller anpassen, als wir immer gedacht
haben. Verteilt sich der Klimawandel auf hundert Jahre, hat ein fragiles
Ökosystem noch eine reelle Chance. Fliegt aber ein Reaktor in die Luft, ist
alles sofort hin und bleibt es auch während der folgenden fünftausend Jahre.»
    «Also
Kohle vor. Verbrennen wir mehr Kohle. Hipp, hipp, hurra.»
    «Das ist
alles nicht so einfach, Patty. Bedenkt man die Alternativen, wird die Sache
kompliziert. Die Kernenergie verursacht Katastrophen, die über Nacht eintreten
können. Bei einer solchen plötzlichen Katastrophe haben Ökosysteme null Chance,
sich zu erholen. Alle reden von Windenergie, aber auch Wind ist nicht so toll.
Jocelyn Zorn, diese Idiotin, hat eine Broschüre aufgelegt, die die beiden
Möglichkeiten aufzeigt - die einzigen beiden
Möglichkeiten vermutlich. Abbildung A zeigt die verheerte Wüstenlandschaft nach
dem Gipfelabbau, Abbildung B zeigt zehn Windräder in einer unberührten
Berglandschaft. Und was stimmt an diesem Bild nicht? Daran stimmt nicht, dass
die Abbildung nur zehn Windräder zeigt. Wo doch tatsächlich zehntausend Windräder gebraucht würden. Jeder Berggipfel in West Virginia müsste
mit Turbinen übersät sein. Stell dir mal vor, du bist ein Zugvogel und willst
da durchfliegen. Und wenn du den Staat mit Windrädern überziehst, glaubst du,
er ist dann noch eine Touristenattraktion? Außerdem müssten diese Windräder, um
mit der Kohle zu konkurrieren, für immer in Betrieb gehalten werden. Noch in
hundert Jahren hat man dann diesen pott-hässlichen Schandfleck, der alle noch
verbliebenen Wildvögel niedermäht. Wohingegen das Gipfelabbau-Gelände in
hundert Jahren, sofern man es gewissenhaft rekultiviert, zwar nicht perfekt,
aber doch ein wertvoller, vollentwickelter Wald ist.»
    «Und du
weißt das und die Zeitung nicht», sagte Patty.
    «So ist
es.»
    «Und es
ist nicht möglich, dass du dich irrst.»
    «Nicht bei
Kohle kontra Wind- oder Kernenergie.»
    «Na, wenn
du das alles so erklärst, wie du es gerade mir erklärt hast, dann werden dir
die Leute glauben, und du hast kein Problem mehr.»
    «Glaubst du es denn?»
    «Ich kenne
nicht alle Fakten.»
    «Aber ich
kenne sie, und ich sage es dir! Warum kannst du mir denn nicht glauben? Warum
kannst du mich nicht beruhigen?»
    «Ich
dachte, das ist die Aufgabe des Schönchens. Seit sie da ist, bin ich irgendwie
aus der Übung. Sie kann das sowieso viel besser.»
    Walter
beendete das Gespräch, bevor es eine noch schlimmere Wendung nahm. Er schaltete
alle Lichter aus und machte sich im Schein des Parkplatzes in den Fenstern
bettfertig. Dunkelheit war die einzige verfügbare Entlastung von seinem
quälenden Kummer. Er zog die Verdunkelungsvorhänge zu, aber noch immer drang
Licht unten durch, daher zog er das unbenutzte Bett ab und verstopfte die
Ritzen mit den Kissen und Decken, so gut er konnte. Er setzte eine Schlafmaske
auf und legte sich mit einem Kissen über dem Kopf hin, doch selbst dann, egal,
wie er die Maske verschob, hielt sich noch eine schwache Andeutung verstreuter
Photonen, die auf seine festverschlossenen Lider trafen, eine nicht ganz
vollkommene Dunkelheit.
    Er und
seine Frau liebten einander und bereiteten einander täglich Leid. Alles andere,
was sein Leben ausmachte, selbst seine Sehnsucht nach Lalitha, belief sich auf
wenig mehr als eine Flucht vor diesem Zustand. Er und Patty konnten nicht
zusammenleben und sich auch nicht vorstellen, getrennt zu sein. Jedes Mal, wenn
er glaubte, sie hätten den Punkt erreicht, an dem es unerträglich wurde, zeigte
sich, dass sie es immer noch länger aushielten, ohne zu zerbrechen.
    Letzten
Sommer, an einem Gewitterabend in Washington, hatte er sich darangemacht, ein
Kästchen auf seiner entmutigend langen persönlichen Erledigungsliste abzuhaken
und sich Online-Banking einzurichten, was er schon seit Jahren vorgehabt hatte.
Seit dem Umzug nach Washington hatte Patty ihr Engagement im Haushalt immer
weiter heruntergefahren, hatte nicht einmal mehr Lebensmittel eingekauft,
allerdings weiterhin Rechnungen bezahlt und das Familienkonto ausgeglichen.
Walter hatte die Posten darin nie überprüft, bis er, nach einer frustrierenden
Dreiviertelstunde mit der Banksoftware, die Zahlen auf seinem Bildschirm leuchten
sah.

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