Franzen, Jonathan
Tage und etliche Abende verbracht
hatte, als er für einen Laden namens RISEN («Restore Iraqi
Secular Enterprise Now») arbeitete, eine Tochter von LBI, die den
Auftrag erhalten hatte, die ehemals staatlich kontrollierte Brotindustrie im
jüngst befreiten Irak zu privatisieren. Sein Chef bei RISEN war Kenny Barties
gewesen, ein junger Mann aus Florida, Anfang zwanzig und mit besten
Verbindungen, auf den Joey ein
weiteres Jahr zuvor hatte Eindruck machen können, als er im Thinktank von
Jonathans und Jennas Vater gearbeitet hatte. Joeys Sommerposten im Thinktank war als einer von fünfen direkt von LBI
finanziert worden, und seine Tätigkeit, vorgeblich als Berater von
Regierungsstellen, hatte ausschließlich darin bestanden, Möglichkeiten zu
eruieren, wie LBI eine amerikanische Invasion und Übernahme des Irak wirtschaftlich
verwerten konnte, und ebenjene wirtschaftlichen Möglichkeiten als Argumente
für eine Invasion schriftlich festzuhalten. Als Belohnung für diese
grundlegende Recherche hatte Kenny Barties
ihm einen Vollzeitjob bei RISEN angeboten,
in Bagdad, in der Grünen Zone. Aus zahlreichen Gründen, darunter Widerstand von
Connie, Warnungen von Jonathan, der Wunsch, in Jennas Nähe zu sein, die Angst,
getötet zu werden, die Notwendigkeit, den Wohnsitz in Virginia zu behalten, und
das nagende Gefühl, dass Kenny nicht zu
trauen war, hatte Joey das
Angebot abgelehnt und stattdessen eingewilligt, den Sommer hindurch das
RISEN-Büro in den Staaten aufzubauen und Schnittstellen mit der Regierung zu
finden.
Den
Anschiss, den er sich von seinem Vater dafür eingehandelt hatte, war einer der
Gründe, warum er es nicht über sich brachte, seinen Eltern von der Hochzeit zu
erzählen, und einer der Gründe, warum er seither versuchte herauszufinden,
welches Maß an Rücksichtslosigkeit in ihm steckte. Er wollte so schnell so
reich und so hart werden, dass er sich von seinem Vater nie wieder anscheißen
lassen musste. Wollte einfach lachend die Achseln zucken und gehen können: eben
mehr wie Jenna sein, die, um ein Beispiel zu nennen, praktisch alles über
Connie wusste, nur nicht, dass Joey sie
geheiratet hatte, und die Connie dennoch allenfalls als eine ansah, die den
Spielchen, die sie selber gern mit Joey spielen
wollte, bloß einen prickelnden Kick hinzufügte. Besonderes Vergnügen bereitete
es Jenna, ihn zu fragen, ob seine Freundin denn wisse, wie viel er mit der
Freundin eines anderen beredete, und sich von ihm die Lügen, die er Connie
aufgetischt hatte, nacherzählen zu lassen. Sie war sogar noch härter drauf,
als ihr Bruder sie dargestellt hatte.
Im
Krankenhaus sah Joey, warum die
Straßen in der Gegend so leer gewesen waren: Die gesamte Einwohnerschaft von
Alexandria hatte sich in der Notaufnahme versammelt. Allein die Anmeldung
dauerte zwanzig Minuten, und die Schwester an der Aufnahme zeigte sich von den
starken Magenschmerzen, die er in der Hoffnung simulierte, an die Spitze der
Schlange vorzurücken, wenig beeindruckt. In den anderthalb Stunden, die er
dann dasaß und das Gehuste und Geniese seiner alexandrinischen Mitbürger
einatmete, während er die letzte halbe Stunde von Emergency
Room auf dem Wartezimmerfernseher sah und UVA-Collegefreunden
simste, die noch ihre Winterferien genossen, überlegte er, wie viel einfacher und
billiger es wäre, schlicht einen Ersatzehering zu kaufen. Der würde nicht mehr
als 300 Dollar kosten, und Connie würde der Unterschied garantiert nicht
auffallen. Dass er an einen unbelebten Gegenstand derart romantische Gefühle
knüpfen konnte - dass er fand, er sei es Connie schuldig, genau diesen einen
Ring, den sie an einem glühend heißen Nachmittag in der 47 th Street mit ihm ausgesucht hatte, zu retten -, verhieß für sein
Projekt, hart drauf zu werden, weiß Gott nichts Gutes.
Der
Notarzt, der ihn schließlich empfing, war ein junger Weißer mit wässrigen Augen
und einer hässlichen Rasierwunde. «Kein Grund zur Sorge», beruhigte er Joey. «So etwas erledigt sich ganz von selbst. Der Gegenstand dürfte durch
Sie hindurchrutschen, ohne dass Sie es überhaupt merken.»
«Um meine
Gesundheit mache ich mir keine Sorgen», sagte Joey. «Ich mache mir Sorgen, ob ich den Ring noch heute Abend wiederbekommen
kann.»
«Hm»,
sagte der Arzt. «Es handelt sich also um einen Wertgegenstand?»
«Allerdings.
Und ich nehme an, es gibt dafür eine - Prozedur?»
«Wenn Sie
den Gegenstand haben müssen, ist die Prozedur die, dass Sie einen, zwei oder
drei Tage warten.
Weitere Kostenlose Bücher