Franzen, Jonathan
eine Wahnsinnsreise irgendwohin
und heiraten zum zweiten Mal und gönnen uns richtig was. Wir schließen das
Studium ab und gründen eine Firma. Alles wird gut.»
Das
Schweigen, mit dem sie das bedachte, hatte einen Beigeschmack von
Ungläubigkeit. Er glaubte seinen Worten ja selbst nicht. Und sei es nur, weil
er so eine Heidenangst hatte, seinen Eltern von der Heirat zu erzählen - und
der Augenblick der Enthüllung in seiner Phantasie zu derart monströsen Ausmaßen
aufgebläht war -, kam ihm das Dokument, das er und Connie im August unterschrieben
hatten, weniger wie eine Heiratsurkunde als ein Selbstmordpakt vor: Es führte
gegen die Wand. Nur in der Gegenwart, wenn sie tatsächlich zusammen waren,
miteinander verschmelzen und sich ihre eigene Welt erschaffen konnten, ergab
ihre Beziehung einen Sinn.
«Ich
wünschte, du wärst hier», sagte er. «Ich auch.»
«Du
hättest an Weihnachten kommen sollen. Da habe ich einen Fehler gemacht.»
«Ich hätte
dich doch bloß angesteckt.»
«Gib mir
nur noch ein paar Wochen. Ich schwöre dir, ich mache es wieder gut.»
«Ich weiß
nicht, ob ich das kann. Aber ich versuche es.»
«Tut mir
wirklich leid.»
Und es tat
ihm leid. Aber er war auch unsagbar erleichtert, als sie ihn vom Telefon
entließ und er seine Gedanken auf Jenna richten konnte. Er schaufelte seinen
Ehering aus der Backentasche, um ihn dann abzutrocknen und wegzulegen, aber
stattdessen, unfreiwillig, durch eine Art krampfhaften Zugriff der Zunge,
verschluckte er ihn irgendwie.
«Scheiße!»
Er spürte
ihn ziemlich weit unten in seiner Speiseröhre, spürte etwas zornig Hartes,
einen Protest weichen Gewebes. Er versuchte, ihn wieder heraufzuwürgen,
schluckte ihn dabei aber nur noch weiter hinunter, wo er nicht mehr zu spüren
war, nach unten zu den Resten des Footlong-Sandwiches von Subway, das sein Abendessen gewesen war. Er rannte in die Kochnische zur Spüle
und steckte sich einen Finger in den Hals. Seit er ein kleiner Junge gewesen
war, hatte er sich nicht mehr erbrochen, und das Gewürge als Vorspiel davon
brachte ihm in Erinnerung, wie sehr er sich schon damals vor dem Erbrechen
gefürchtet hatte. Vor dessen Heftigkeit. Es war, als versuchte er, sich in den
Kopf zu schießen - er brachte es nicht fertig. Er beugte sich über die Spüle,
den Mund klaffend weit auf, und hoffte, der Inhalt seines Magens möge einfach
so herausfließen, von selbst, ohne Gewaltanwendung; was natürlich nicht
geschah. «Scheiße! Beschissener Feigling!»
Es war
zwanzig vor zehn. Sein Flug nach Miami ging am nächsten Vormittag um elf vom Dulles Airport ab, und mit dem Ring im Darm konnte er unmöglich ins Flugzeug.
Er tigerte auf dem fleckigen beigefarbenen Teppichboden seines Wohnzimmers auf
und ab und beschloss, dass es wohl besser wäre, einen Arzt aufzusuchen. Eine
rasche Online-Suche ergab, wo sich das nächstgelegene Krankenhaus befand, in
der Seminary Road.
Er warf
sich einen Mantel über und rannte auf die Van Dorn Street hinab, hielt Ausschau
nach einem Taxi, das er heranwinken konnte, doch die Nacht war kalt und der
Verkehr ungewöhnlich dünn. Er hatte genug auf seinem Geschäftskonto, um sich
einen Wagen zu kaufen, sogar einen sehr schönen, doch da einiges von dem Geld
Connie gehörte und der Rest ein Bankkredit war, für den sie bürgte, war er mit
seinen Ausgaben sehr vorsichtig. Er stellte sich mitten auf die Straße, als
könnte er, wenn er sich als Ziel präsentierte, mehr Verkehr und damit auch ein
Taxi anlocken. Doch an dem Abend kam kein Taxi.
Auf seinem
Handy fand er, als er Richtung Krankenhaus marschierte, eine neue SMS von
Jenna: aufgeregt, du? Er simste zurück: total. Jennas
Kommunikation mit ihm, der bloße Anblick ihres Na mens oder
ihrer E-Mail-Adresse, hatte nach wie vor einen Pawlow'schen Effekt auf seine
Gonaden. Dieser Effekt unterschied sich sehr von dem, den Connie auf ihn hatte
(Connie hatte ihn in letzter Zeit immer höher getroffen: in den Magen, die
Atemmuskulatur, ins Herz), war aber nicht weniger insistierend und intensiv.
Jenna erregte ihn so, wie große Geldsummen, wie der köstliche Verzicht auf
soziale Verantwortung und das Bekenntnis zu exzessiver Ressourcenverschwendung
es taten. Er wusste sehr wohl, dass Jenna hart drauf war. Und erregend war
dabei die Überlegung, ob er selbst hart genug werden konnte, um sie zu kriegen.
Der Gang
zum Krankenhaus führte ihn unmittelbar an der blau-verspiegelten Fassade des Bürogebäudes
vorbei, in dem er im Sommer zuvor seine
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