Franzen, Jonathan
sie tat es nie, und das machte die Ungerechtigkeit des Grolls
seiner Mutter nur noch himmelschreiender. Als kleines Mädchen hatte Connie von
sich aus, ohne jede Aufforderung durch Carol, seiner
Mutter selbstgebastelte Geburtstagskarten überreicht. Jahr für Jahr hatte
seine Mutter über diese Karten gejuchzt, bis er und Connie miteinander zu
schlafen begannen. Auch danach hatte Connie ihr noch Geburtstagskarten gebastelt,
und einmal, als er noch in St. Paul lebte, hatte Joey beobachtet, wie seine
Mutter eine öffnete, flüchtig und mit steinerner Miene auf den Gruß schaute und
sie wie eine Reklamesendung weglegte. In jüngerer Zeit hatte Connie ihr
zusätzlich noch kleine Geburtstagsgeschenke geschickt - in einem Jahr
Ohrringe, in einem anderen Schokolade -, wofür sie Empfangsbestätigungen
erhielt, die so gestelzt und unpersönlich waren wie eine Mitteilung vom
Finanzamt. Connie tat alles in ihrer Macht Stehende, damit seine Mutter sie
wieder mochte, nur nicht das eine, das gewirkt hätte, nämlich Joey nicht mehr
zu sehen. Sie war reinen Herzens, und seine Mutter bespuckte sie. Diese
Ungerechtigkeit war ein weiterer Grund, warum er sie geheiratet hatte.
Diese
Ungerechtigkeit hatte ihm auch, auf Umwegen, die Republikanische Partei
nähergebracht. Seine Mutter gebärdete sich Carol und Blake gegenüber wie ein Snob und verübelte Connie die bloße
Tatsache, dass sie bei ihnen wohnte. Für sie war es selbstverständlich, dass
alle klar denkenden Menschen, eben auch Joey, hinsichtlich der Vorlieben und
Ansichten von Weißen aus weniger privilegierten Verhältnissen einer Meinung
waren. An den Republikanern gefiel Joey, dass sie die Leute, anders als
liberale Demokraten, nicht verachteten. Sie
hassten die Liberalen, das schon, aber nur, weil die Liberalen sie zuerst
gehasst hatten. Sie hatten diese nicht hinterfragte Herablassung, mit der
seine Mutter die Monaghans behandelte, schlicht satt. Im Lauf der vergangenen
zwei Jahre hatten Joey und Jonathan in ihren politischen Diskussionen ganz
allmählich die Seiten gewechselt, besonders beim Thema Irak. Joey war zu der
Überzeugung gelangt, dass eine Invasion notwendig war, um Amerikas
petropolitische Interessen zu wahren und Saddams Massenvernichtungswaffen zu
zerstören, während Jonathan, der begehrte Sommerpraktika bei The Hill und der Washington
Post an Land gezogen hatte und Politikjournalist werden wollte,
Leuten wie Feith und Wolfowitz und Perle und Chalabi, die auf den Krieg
drängten, immer mehr misstraute. Beide hatten Vergnügen daran gefunden, ihre
erwarteten Rollen umzukehren und die politischen Abweichler ihrer jeweiligen
Familie zu werden, wobei Joey sich immer mehr wie Jonathans Vater anhörte und
Jonathan immer mehr wie Joeys. Je länger Joey beharrlich Partei für Connie ergriff und sie gegen den Snobismus seiner
Mutter verteidigte, desto mehr fühlte er sich bei der Partei des zornigen
Anti-Snobismus zu Hause.
Und warum war er bei
Connie geblieben? Die einzig plausible Antwort war, dass er sie liebte. Er
hatte Möglichkeiten genug gehabt, sich ihrer zu entledigen - hatte einige
sogar bewusst geschaffen -, aber jedes Mal hatte er sie im entscheidenden
Moment dann doch nicht genutzt. Die erste große Gelegenheit hatte sich geboten,
als er zum Studieren am College fortging. Seine nächste Chance hatte sich ein
Jahr später ergeben, als Connie ihm in den Osten des Landes folgte, ans Morton
College in Mortons Glen, Virginia. Ihr Umzug machte sie von Charlottesville aus mit einer lockeren Fahrt in Jonathans Land Cruiser erreichbar (den Jonathan, weil er Connie gut fand, Joey lieh), stellte
für sie aber auch die Weichen, eine normale Studentin zu werden und ein
unabhängiges Leben zu führen. Nach seinem zweiten Besuch in Morton, den sie
beide überwiegend damit verbrachten, ihrer koreanischen Zimmergenossin aus dem
Weg zu gehen, schlug Joey vor, dass sie um ihretwillen (da sie am
College offenbar gewisse Anpassungsschwierigkeiten hatte) erneut versuchten,
ihre gegenseitige Abhängigkeit aufzubrechen, und eine Weile nicht mehr
kommunizierten. Sein Vorschlag war nicht völlig unaufrichtig; eine Zukunft für
sie beide schloss er nicht in Gänze aus. Doch er hatte Jenna viel zugehört und
hoffte, seine Winterferien mit ihr und Jonathan in McLean zu verbringen. Als Connie schließlich, ein paar Wochen vor
Weihnachten, Wind von diesen Plänen bekam, fragte er sie, ob sie über die
Feiertage nicht nach Hause nach St. Paul fahren wolle, um ihre Freunde
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