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Franzen, Jonathan

Franzen, Jonathan

Titel: Franzen, Jonathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Freihheit
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friedlichen Art zu, wenn er deren Besonderheiten erklärte. Obwohl
Jonathan aus seinem Bett, dem speziellen Kissen noch aus Kindheitstagen und
seinem nächtlichen Bedürfnis nach neun Stunden Schlaf in der Regel einen
Fetisch machte, zog er sich diskret aus dem Zimmer im Wohnheim zurück, noch bevor Joey ihn um etwas Privatsphäre bitten
musste. Nachdem Connie nach St. Paul zurückgekehrt war, sagte Jonathan ihm, er
finde seine Freundin unglaublich, total heiß
und zugleich sehr unkompliziert, und das machte Joey zum ersten Mal stolz auf sie. Er hörte auf, sie als eine Schwäche von
sich anzusehen, ein Problem, das schnellstmöglich gelöst werden musste,
betrachtete sie dafür mehr als eine Freundin, deren Existenz er seinen anderen
Freunden ohne weiteres einräumen konnte. Was ihn wiederum desto wütender auf
die verhüllte, aber unversöhnliche Feindseligkeit seiner Mutter werden ließ.
    «Eine
Frage, Joey», hatte seine Mutter während der Wochen, als er und Connie bei
seiner Tante Abigail einhüteten,
am Telefon gesagt. «Gestattest du mir eine Frage?»
    «Das kommt
darauf an», sagte Joey.
    «Connie
und du, streitet ihr euch manchmal?»
    «Mom,
nein, darüber werde ich nicht sprechen.»
    «Vielleicht
interessiert es dich ja, warum ich dir gerade diese eine Frage stelle.
Interessiert es dich nicht ein ganz klein bisschen?»
    «Nee.»
    «Weil ihr
euch nämlich streiten sollt und weil
etwas nicht stimmen würde, wenn ihr es nicht tätet.»
    «Klar,
nach der Definition müsstet ihr ja alles richtig machen.»
    «Hahaha!
Das ist nun wirklich urkomisch, Joey.»
    «Warum
sollten wir uns streiten? Man streitet sich, wenn man nicht miteinander
auskommt.»
    «Nein,
Menschen streiten sich, wenn sie sich lieben, aber weiterhin ausgeprägte
Persönlichkeiten haben und in der wirklichen Welt leben. Natürlich sage ich
nicht, dass es gut ist, sich exzessiv zu streiten.»
    «Nein, nur
bis zu einem ganz bestimmten Punkt. Habs kapiert.»
    «Wenn man
sich nie streitet, muss man sich
fragen, warum man es nicht tut, mehr sage ich ja gar nicht. Frag dich selbst:
Wo ist die Phantasie beheimatet?»
    «Nein,
Mom. Tut mir leid. Darüber spreche ich nicht.»
    «Oder in wem ist sie
beheimatet, wenn du verstehst, was ich meine.»
    «Ich
schwöre bei Gott, ich lege auf und rufe dich ein Jahr nicht mehr an.»
    «Welchen
Realitäten geht man aus dem Weg.»
    «Mom!»
    «Jedenfalls
war das meine eine Frage, und jetzt habe ich sie gestellt und werde dir keine
andere mehr stellen.»
    Auch wenn
die Glückslevel seiner Mutter nicht eben viel hermachten, drängte sie Joey
beharrlich ihre eigenen Lebensnormen auf. Womöglich gedachte sie, ihn damit zu
schützen, er aber hörte immer nur den Trommelschlag der Negation. Besonders
«besorgt» war sie darüber, dass Connie außer ihm keine Freunde hatte. Einmal
hatte sie ihre verrückte College-Freundin Eliza angeführt, die mit absolut niemandem sonst befreundet gewesen war, und
was für ein Warnsignal das hätte sein müssen. Joey hatte geantwortet, dass
Connie durchaus Freunde habe, und als seine Mutter ihn aufgefordert hatte,
deren Namen zu nennen, hatte er sich lautstark geweigert, über Dinge zu
sprechen, von denen sie keine Ahnung habe. Connie hatte tatsächlich ein paar
alte Schulfreundinnen, mindestens zwei oder drei, aber wenn sie von ihnen
redete, dann vor allem, um deren Oberflächlichkeit zu sezieren oder deren
Intelligenz unvorteilhaft mit der Joeys zu
vergleichen, und nie konnte er sich ihre Namen richtig merken. Seine Mutter
hatte also offensichtlich ins Schwarze getroffen. Und sie war nicht so dumm,
ein zweites Mal in eine offene Wunde zu stechen, aber entweder war sie die
geschickteste Andeuterin der Welt oder Joey der allersensibelste Folgerer. Sie
brauchte lediglich einen anstehenden Besuch ihrer alten Mannschaftsgefährtin Cathy Schmidt zu erwähnen, schon hörte Joey eine gehässige Kritik an Connie
heraus. Stellte er sie deswegen zur Rede, kam sie ihm auf die Psychotour und
meinte, er solle sich doch mal seine Empfindlichkeit bei dem Thema vor Augen
führen. Der einzige Gegenschlag, der ihr wirklich das Maul gestopft hätte -
sie zu fragen, wie viele Freundinnen sie denn seit
dem College gefunden habe (Antwort: keine) -, war derjenige, den er zu führen
nicht übers Herz brachte. Bei all ihren Streitereien hatte sie den ungerechten,
aber entscheidenden Vorteil, dass sie ihm leidtat.
    Connie
hegte gegenüber seiner Mutter keinen solchen Groll. Sie hatte allen Grund zu
klagen, doch

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