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Franzen, Jonathan

Franzen, Jonathan

Titel: Franzen, Jonathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Freihheit
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zu
finden gewesen wären, wie er es hatte erscheinen lassen, doch Kenny hatte alle seine RISEN-Versprechen gehalten, und Joey kriegte die
Vorstellung nicht aus dem Kopf, wie hervorragend es wäre, mit einundzwanzig,
also in einem Jahr, eine halbe Million Dollar schwer zu sein. Aus einem Impuls
heraus, weil er aufgeregt und ausnahmsweise einmal nicht mit ihrer
Beziehung beschäftigt war, brach er sein Telefonschweigen mit Connie, um sie
nach ihrer Meinung zu fragen. Viel später sollte er sich Vorwürfe machen, dass
er dabei ihre Ersparnisse im Hinterkopf gehabt hatte, über die sie jetzt rein
rechtlich die Verfügungsgewalt besaß, aber im Moment des Anrufs war er sich
keines eigennützigen und daher schuldhaften Motivs bewusst.
    «0 Gott,
Baby», sagte sie. «Ich dachte schon, ich höre nie wieder was von dir.»
    «Es waren
zwei harte Wochen.»
    «Mein
Gott, das weiß ich doch, ich weiß. Ich dachte schon, ich hätte dir nie was
davon sagen sollen. Kannst du mir verzeihen?»
    «Wahrscheinlich.»
    «Oh! Oh!
Das ist so viel besser als wahrscheinlich nicht>.»
    «Sehr
wahrscheinlich», sagte er. «Wenn du mich noch immer sehen willst.»
    «Aber das
weißt du doch. Mehr als alles andere auf der Welt.»
    Sie klang
überhaupt nicht wie die unabhängige ältere Frau, als die er sie sich
vorgestellt hatte, und ein Flattern im Magen ermahnte ihn, es lieber langsam
angehen zu lassen und sich erst sicher zu sein, dass er sie auch wirklich
wiederhaben wollte. Ermahnte ihn, den Schmerz, sie zu verlieren, nur ja nicht
mit einem wirklichen Verlangen nach ihr zu verwechseln. Doch er wollte das
Thema schnell fallenlassen, wollte vermeiden, sich auf das sumpfige Terrain abstrakter
Emotionen zu begeben, und sie nach ihrer Meinung zu Kennys Angebot fragen.
    «Gott,
Joey», sagte sie, nachdem er es ihr erläutert hatte, «das musst du machen. Ich
helfe dir dabei.»
    «Wie
denn?»
    «Ich gebe
dir das Geld», sagte sie, als wäre es albern von ihm, das auch nur zu fragen.
«Ich habe noch über fünfzigtausend Dollar auf meinem Treuhandkonto.»
    Allein die
Nennung dieser Summe erregte ihn. Sie führte ihn zurück in ihre frühesten Tage
als Paar in der Barrier Street, in
seinen ersten Herbst an der Highschool. Achtung Baby von U2,
von ihnen beiden, besonders aber von Connie heiß geliebt, war der Soundtrack
ihrer gegenseitigen Defloration gewesen und das Auftaktstück, in dem Bono erklärte, er sei zu allem bereit, ready
for the push, ihr Liebeslied aufeinander und auf den
Kapitalismus. Das Stück hatte Joey das Gefühl gegeben, bereit zu sein - um Sex
zu haben, aus der Kindheit herauszutreten und richtiges Geld zu verdienen,
indem er an Connies katholischer
Schule Uhren verkaufte. Er und sie hatten im vollsten Sinn des Wortes als
Partner begonnen, er der Unternehmer und Produzent, sie sein treues Maultier,
seine verblüffend begabte Verkäuferin. Bis ihr Geschäft von aufgebrachten
Nonnen unterbunden wurde, hatte sie sich als Meisterin der subtilen Verkaufstaktik
erwiesen, ihre gelassene Zurückhaltung hatte ihre Klassenkameradinnen nur noch
verrückter nach ihrem und Joeys Produkt
gemacht. Jeder in der Barrier Street,
einschließlich seiner Mutter, hatte Connies Zurückhaltung
fälschlicherweise für Trägheit, für Langsamkeit gehalten. Erst Joey mit seinem
Insider-Zugang hatte das Potenzial in ihr erkannt, und dies war nun offenbar so
etwas wie die Geschichte ihres gemeinsamen Lebens: dass er ihr half und sie
ermutigte, die Erwartungen aller zu widerlegen, besonders die seiner Mutter,
die den Wert ihrer verborgenen Anlagen unterschätzte. Diese Fähigkeit, Wert zu
erkennen, eine Gelegenheit auszuspähen, wo andere keine sahen, war zentral für
seinen Glauben an seine Zukunft als Geschäftsmann, zentral auch für seine
Liebe zu Connie. Wirklich, Connie bewegte sich auf rätselhaften Bahnen!
Zwischen den Haufen von Zwanzigdollarscheinen, die sie aus ihrer Schule
mitbrachte, hatten sie dann gevögelt.
    «Aber du
brauchst das Geld aus dem Treuhandfonds doch, um wieder ans College zu gehen»,
sagte er dennoch.
    «Das kann
ich auch später noch machen», sagte sie. «Du brauchst es jetzt, und ich kann es
dir geben. Du kannst es mir später zurückgeben.»
    «Ich
könnte es dir verdoppelt zurückgeben. Dann hättest du genug
für alle vier Jahre.»
    «Wenn du
willst», sagte sie. «Du musst aber nicht.»
    Sie
vereinbarten ein Treffen zu seinem zwanzigsten Geburtstag in New York, dem
Schauplatz ihrer glücklichsten Wochen als Paar seit seinem

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