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Franzen, Jonathan

Franzen, Jonathan

Titel: Franzen, Jonathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Freihheit
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und lüstern und männliche Blicke auf sich ziehend, Joey in
testosteronhaltiger Achtlosigkeit, in der er, wäre ihm jemand in die Quere
gekommen, einfach so zum Spaß zugeschlagen hätte. Er tat den Schritt, der getan
werden musste, den Schritt, den er schon immer tun wollte, seit seine Eltern
zum ersten Mal nein gesagt hatten. Den fünfzig Block weiten Gang mit Connie
Richtung Uptown, in einem
brütend heißen Tumult aus hupenden Taxis und verdreckten Gehwegen, empfand er
als so lang wie sein gesamtes Leben davor.
    Sie gingen
in den erstbesten, verlassen wirkenden Juwelierladen, an den sie auf der 47 th Street kamen, und baten um zwei goldene Ringe, die sie gleich
mitnehmen könnten. Der Juwelier war im vollen chassidischen Aufzug - Jarmulke,
Schläfenlocken, Gebetsriemen, schwarze Weste, das ganze Drum und Dran. Erst
musterte er Joey, dessen weißes T-Shirt von einem Hotdog, den er unterwegs
hinuntergeschlungen hatte, mit Senf bekleckert war, dann Connie, deren Gesicht
von der Hitze und den Abschürfungen durch Joeys Gesicht glühte. «Ihr zwei wollt heiraten?»
    Beide
nickten, weder er noch sie mit dem rechten Mut, laut ja zu sagen.
    «Dann
Massel tow», sagte der Juwelier und zog Schubladen auf. «Ich habe Ringe hier in
allen Größen.»
    Von
weither, durch einen feinen Riss in Joeys ansonsten
fester Blase des Wahnsinns, schlich sich ein leises Bedauern wegen Jenna.
    Nicht als
der Person, die er wollte (das Wollen kam erst später, als er wieder allein und
vernünftig war, zurück), sondern als der jüdischen Ehefrau, die er nun nie mehr
haben sollte: als der Person, der es möglicherweise etwas bedeutete, dass er
Jude war. Schon längst hatte er den Versuch aufgegeben, sein Jüdischsein
wichtig zu nehmen, und dennoch überfiel ihn beim Anblick des Juweliers in
seiner abgewetzten chassidischen Aufmachung, dem Ornat einer Minderheitenreligion,
der eigentümliche Gedanke, dass er die Juden, indem er eine Goi heiratete, im
Stich ließ. Wenngleich in vielerlei Hinsicht von zweifelhafter Moral, war Jenna
dennoch eine Jüdin mit Urgroßtanten und -onkeln, die in den Lagern umgekommen
waren, und das machte sie menschlich, entschärfte ihre unmenschliche Schönheit,
und dass er sie im Stich ließ, tat ihm leid. Interessanterweise empfand er das
nur gegenüber Jenna, nicht aber Jonathan, der in Joeys Augen bereits vollkommen menschlich war und dazu nicht des
Jüdischseins bedurfte.
    «Was
meinst du?», fragte Connie, den Blick auf die auf Samt ausgelegten Ringe
geheftet.
    «Ich weiß
nicht», sagte er von seiner kleinen Wolke des Bedauerns herab. «Die sehen alle
gut aus.»
    «Nehmen
Sie sie, probieren Sie sie an, spüren Sie sie an der Hand», sagte der Juwelier.
«Gold kann man nicht beschädigen.»
    Connie
wandte sich zu Joey und suchte seinen Blick. «Bist du dir sicher, dass du es
willst?»
    «Glaub
schon. Und du?»
    «Ja. Wenn
du's dir bist.»
    Der
Juwelier trat vom Ladentisch zurück und beschäftigte sich anderweitig. Und
Joey, der sich mit Connies Augen sah,
konnte die Unsicherheit auf seinem Gesicht nicht ertragen. Ihretwegen brachte
sie ihn ungeheuer auf. Alle anderen zweifelten an ihr, und das brauchte sie
von ihm nicht auch noch, also ließ er das Zweifeln bleiben.
    «Auf jeden
Fall», sagte er. «Sehen wir uns mal die da an.»
    Nachdem
sie ihre Ringe ausgesucht hatten, versuchte Joey, den Preis herunterzuhandeln,
was, wie er wusste, in einem solchen Geschäft von ihm erwartet wurde, doch der
Juwelier warf ihm nur einen enttäuschten Blick zu, als wollte er sagen: Du
heiratest dieses Mädchen und schacherst hier mit mir um fünfzig Dollar?
    Beim
Verlassen des Geschäfts, die Ringe in der Hosentasche, wäre er auf dem Gehweg
fast mit seinem alten Wohnheimgenossen Casey zusammengestoßen.
    «Alter!»,
sagte Casey. «Was machst du denn hier?»
    Er trug
einen dreiteiligen Anzug und bekam im Haar schon lichte Stellen. Er und Joey
hatten sich aus den Augen verloren, aber Joey hatte gehört, dass er während des
Sommers in der Anwaltskanzlei seines Vaters arbeitete. Dass er ihm
ausgerechnet jetzt über den Weg lief, erschien Joey als ein weiteres wichtiges
Zeichen, wofür allerdings, das wusste er nicht recht. Er sagte: «Du erinnerst
dich doch noch an Connie, oder?»
    «Hallo,
Casey», sagte sie mit teuflisch lodernden Augen.
    «Ja, klar,
hallo», sagte Casey. «Aber, Mann, was ist das denn? Ich dachte, du bist in
Washington.»
    «Ich mache
gerade Ferien.»
    «Alter, du
hättest mal anrufen sollen, ich hatte ja

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