Franzen, Jonathan
Nachbarschaft einen unverstellten Blick über den
gefrorenen See hinweg auf das kleine Berglund'sche Haus, in dessen Fenstern man
nie einen Fernseher flimmern sah. Es war schwer vorstellbar, was Walter dort
drüben, ganz allein in der tiefen Winternacht, treiben mochte, außer voller
Feindseligkeit und Missbilligung vor sich hin zu brüten. Über Weihnachten wurde
es in seinem Haus für eine Woche dunkel, was auf einen Besuch bei seiner
Familie in St. Paul schließen ließ, auch das schwer vorstellbar - dass ein
solcher Miesepeter dennoch von jemandem geliebt wurde. Insbesondere Linda war
erleichtert, als die Feiertage vorüber waren und der Miesepeter sein Eremitendasein
wiederaufnahm und sie zu einem Hass zurückkehren konnte, der von dem Gedanken
ungetrübt war, dass es Menschen gab, die Walter mochten. Eines Abends im
Februar berichtete ihr Ehemann, Walter habe beim County Klage wegen mutwilligen Blockierens seiner Einfahrt eingereicht, und
das zu hören tat ihr irgendwie sehr wohl. Es war gut zu wissen, dass er wusste,
sie hassten ihn.
Ähnlich
widersinnig war es, dass Linda, als der Schnee wieder schmolz und die Wälder
wieder grünten und Bobby wieder
nach draußen gelassen wurde und verschwand, das Gefühl hatte, als kratzte sie
an einer heftig juckenden Stelle, einer Stelle, die auf so elementare Weise
juckt, dass es vom Kratzen nur noch schlimmer wird. Für Bobbys Verschwinden konnte nur Walter verantwortlich sein, das war ihr sofort
klar, und sie empfand tiefe Genugtuung darüber, dass er sich ihrem Hass
gewachsen zeigte, ihm neuen Grund und neue Nahrung gab: dass er bereit war, das
Hass-Spiel mit ihr zu spielen und der örtliche Repräsentant all dessen zu sein,
was mit ihrer Welt nicht stimmte. Selbst als sie die Suche nach dem vermissten
Haustier organisierte und den Kummer ihrer Kinder in der Nachbarschaft publik
machte, kostete sie deren Kummer insgeheim aus und fand ihren Spaß daran, sie
zum Hass auf Walter anzustacheln. Auch sie hatte Bobby ganz gern gehabt, aber sie wusste, dass es eine Sünde war, Tiere zu
falschen Götzen zu erheben. Die Sünde, die sie hasste, verkörperte sich in
ihrem sogenannten Nachbarn. Sobald deutlich wurde, dass Bobby nie mehr zurückkommen würde, fuhr sie mit ihren Kindern zu einem nahe
gelegenen Tierheim, wo sie sich drei neue Katzen aussuchen durften, die Linda,
kaum waren sie wieder zu Hause, aus ihren Pappkartons befreite und in die
Richtung von Walters Wäldchen scheuchte.
Walter
hatte Katzen nie gemocht. Sie kamen ihm wie die Soziopathen der Haustierwelt
vor, eine Spezies, die als ein zur Dezimierung von Nagetieren notwendiges Übel
gezähmt und in der Folge so fetischisiert worden war, wie glücklose Länder ihr
Militär fetischisieren, indem sie den Uniformen von Mördern auf eine ähnliche
Weise Ehre bezeigen, wie Katzenbesitzer das schöne Fell ihrer Tiere streicheln
und ihnen die Krallen und Zähne nachsehen. Er hatte in einem Katzengesicht noch
nie etwas anderes als einfältiges Desinteresse und Selbstbezogenheit entdeckt;
man brauchte ja nur einmal eine mit einer Spielzeugmaus zu necken, um zu
erkennen, wofür ihr Herz in Wahrheit schlug. Bis er in das Haus seiner Mutter
einzog, hatte er allerdings etliche schlimmere Übel zu bekämpfen gehabt. Erst
jetzt, da er für die Populationen verwilderter Katzen verantwortlich war, die
auf den von ihm verwalteten Schutzgebieten der Nature
Conservancy Verheerungen anrichteten, und zu der Wunde, die die
Canterbridge-Siedlung seinem See zugefügt hatte, noch der Affront durch die
frei herumlaufenden Haustiere ihrer Bewohner hinzukam, schwoll Walters alte
Voreingenommenheit gegen Katzen zu der Art von niederdrückendem täglichem Groll
und Elend an, die depressive männliche Berglunds offenbar nötig hatten, um
ihrem Leben Sinn und Substanz zu verleihen. Der Missstand, der seinem Groll und
Elend in den vergangenen zwei Jahren dienlich gewesen war - die Kettensägen und
Planierraupen und kleinen Baugrubensprengungen und Erdabtragungen, die Hämmer
und Fliesenschneider, der aus Ghettoblastern dröhnende Classic Rock -, war
jetzt beendet, und er brauchte etwas Neues.
Manche
Katzen sind beim Töten faul oder ungeschickt, aber der schwarze Bobby mit den weißen Pfoten gehörte nicht dazu. Bobby war schlau genug, sich bei Abenddämmerung, wenn Waschbären und Kojoten
zur Gefahr werden, ins Haus der Hoffbauers zurückzuziehen, aber jeden Morgen,
in den schneelosen Monaten, sah man ihn entlang dem freigelegten
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