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Franzen, Jonathan

Franzen, Jonathan

Titel: Franzen, Jonathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Freihheit
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Ich bitte Sie nur, im Sommer unserem
hiesigen Ökosystem zuliebe das Gleiche zu tun. Wir leben in einer Gegend, die
ein wichtiges Brutgebiet für zahlreiche, in Nordamerika immer seltener
werdende Vogelarten ist. Und diese Vögel haben ebenfalls Nachwuchs. Wenn Bobby im Juni oder Juli einen Vogel tötet, hinterlässt er ein Nest voller
Jungvögel, die nicht überleben werden.»
    «Dann
müssen die Vögel sich eben einen anderen Ort für ihre Nester suchen. Bobby liebt es, draußen frei herumzulaufen. Es wäre gemein, ihn im Haus zu
lassen, wenn das Wetter schön ist.»
    «Sicher.
Ja. Ich weiß, dass Sie Ihren Kater lieben. Und wenn er nur in Ihrem Garten
bleiben würde, wäre das ja in Ordnung. Aber dieses Land gehörte den Vögeln,
bevor es uns gehörte. Und es gibt nun mal keine Möglichkeit, den Vögeln
verständlich zu machen, dass es ungünstig für sie ist, hier zu nisten. Also
kommen sie immer wieder her und werden immer wieder getötet. Und das größere
Problem ist, dass ihr Lebensraum generell knapp wird, weil die Menschen immer
mehr Land erschließen. Deshalb ist es entscheidend, dass wir uns bemühen,
verantwortungsvolle Verwalter dieses wunderschönen Stücks Erde zu sein, das wir
übernommen haben.»
    «Tja, tut
mir leid», sagte Linda, «aber mein Nachwuchs ist mir wichtiger als der
Nachwuchs irgendeines Vogels. Ich glaube nicht, dass das eine extreme Haltung
ist, wenn ich sie mit Ihrer vergleiche.
    Gott hat
diese Welt den Menschen gegeben, und damit ist die Sache für mich erledigt.»
    «Ich habe
selbst Kinder, und ich verstehe das gut», sagte Walter. «Aber es geht hier doch
nur darum, Bobby im Haus zu
lassen. Ich begreife nicht, woher Sie wissen wollen, dass es ihm etwas
ausmacht, drinnen zu bleiben - es sei denn, Sie können mit ihm sprechen.»
    «Meine
Katze ist ein Tier. Den Tieren dieser Erde wurde die Gabe der Sprache nicht
zuteil. Nur den Menschen. Unter anderem daher wissen wir ja, dass wir nach
Seinem Bild geschaffen sind.»
    «Genau,
und deshalb frage ich Sie, wie Sie darauf kommen, dass Bobby gern frei herumläuft.»
    «Katzen
sind nun mal gern draußen, jeder ist gern draußen. Wenn es warm wird, steht Bobby an der Tür und möchte raus. Ich muss nicht mit
ihm sprechen, um das zu begreifen.»
    «Aber wenn Bobby nur ein Tier ist und kein Mensch,
warum soll dann seine leichte Vorliebe fürs Draußensein über dem Recht der
Singvögel stehen, ihren Nachwuchs aufzuziehen?»
    «Weil Bobby ein Mitglied unserer Familie ist. Meine Kinder lieben ihn, und wir
wollen sein Bestes. Wenn wir einen Vogel als Haustier hätten, würden wir auch
für ihn das Beste wollen. Aber wir haben nun mal keinen Vogel als Haustier,
sondern einen Kater.»
    «Na schön,
trotzdem danke, dass Sie mir zugehört haben», sagte Walter. «Ich hoffe, Sie
denken noch einmal darüber nach und ändern Ihre Meinung vielleicht.»
    Linda
fühlte sich durch dieses Gespräch heftig angegriffen. Walter war noch nicht
einmal ihr richtiger Nachbar, er gehörte nicht der Vereinigung der
Hauseigentümer an, und die Tatsache, dass er ein japanisches Hybridauto fuhr,
an dem er kürzlich einen O bama -Aufkleber angebracht hatte, ließ in ihren Augen auf
Gottlosigkeit und Gleichgültigkeit gegenüber der Lage hart arbeitender Familien
wie der ihren schließen, die sich krummlegten, um über die Runden zu kommen und
ihre Kinder zu anständigen, empathischen Menschen in einer gefahrvollen Welt zu
erziehen. Linda war nicht besonders beliebt am Canterbridge Court, dafür aber
gefürchtet als diejenige, die bei einem an die Tür klopfen würde, falls man
sein Boot über Nacht in der Einfahrt hatte stehenlassen, was gegen die Vereinbarung
der Hauseigentümer verstieß, oder falls das eigene Kind von einem ihrer Kinder
dabei gesehen worden war, wie es sich hinter dem Schulgebäude eine Zigarette
anzündete, oder falls sie einen kleinen Fehler in der Bauweise ihres Hauses
entdeckt hatte und wissen wollte, ob in den anderen Häusern der gleiche kleine
Fehler aufgetreten sei. Nach Walters Besuch bei ihr wurde er, in ihren unaufhörlichen
Erzählungen davon, zu dem Tierfreak, der sie gefragt hatte, ob sie mit ihrer
Katze sprechen könne.
    Quer über
den See machten die Bewohner der Canterbridge-Siedlung an ein paar Wochenenden
jenes Sommers Besucher auf Walters Grundstück aus, ein attraktives junges Paar,
das einen neuen schwarzen Volvo fuhr. Der junge Mann war blond und durchtrainiert,
seine Frau oder Freundin auf eine kinderlose, großstädtische

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