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Franzen, Jonathan

Franzen, Jonathan

Titel: Franzen, Jonathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Freihheit
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Weise
gertenschlank. Linda Hoffbauer erklärte, das Paar wirke «arrogant», aber die
meisten anderen Nachbarn waren erleichtert, diese respektablen Besucher zu
sehen, war Walter ihnen doch vorher bei all seiner Höflichkeit wie ein latent
abweichlerischer Eremit vorgekommen. Ein paar von den älteren
Canterbridgeanern, die ausgedehnte morgendliche Gesundheitsspaziergänge
machten, hatten nun den Mut, Walter anzusprechen, wenn sie ihm auf der Straße
begegneten. Sie erfuhren, dass es sich bei dem jungen Paar um seinen Sohn und
seine Schwiegertochter handelte, die irgendein florierendes Unternehmen in St.
Paul führten, und dass es außerdem noch eine unverheiratete Tochter in New York
gab. Sie stellten ihm Suggestivfragen über seinen Familienstand, um zu
erkunden, ob er geschieden oder nur verwitwet war, doch Walter erwies sich als
äußerst geschickt darin, diese Fragen zu umschiffen, und so ging einer der
technologisch Beschlageneren unter ihnen online und fand heraus, dass Linda
Hoffbauer doch recht damit gehabt hatte, Walter zu verdächtigen, ein Tierfreak
und damit eine Bedrohung zu sein. Offenbar hatte er eine radikale
Umweltorganisation gegründet, die sich nach dem Tod der Mitbegründerin, einer
jungen Frau mit einem merkwürdigen Namen, die ganz bestimmt nicht die Mutter
seiner Kinder gewesen war, aufgelöst hatte. Kaum war diese interessante Neuigkeit
in der Nachbarschaft durchgesickert, ließen die Morgenspaziergänger Walter
wieder in Ruhe - verunsichert vielleicht weniger von seinem Extremismus als
davon, dass sein eremitenhaftes Dasein nun einen starken Beigeschmack von
Trauer hatte, jener furchtbaren Art von Trauer, um die man am besten einen
großen Bogen macht; jener lang anhaltenden Art von Trauer, die einem, wie jede
Form von Irrsinn, beängstigend, womöglich sogar ansteckend erscheint.
    Gegen Ende
des folgenden Winters, als der Schnee zu schmelzen begann, tauchte Walter
erneut am Canterbridge Court auf, dieses Mal mit einem Karton grellleuchtender
Neoprenlätze für Katzen. Er behauptete, eine Katze, die einen solchen Latz
trage, könne sich nach Herzenslust im Freien aufhalten und so viel auf Bäume
klettern oder nach Faltern schlagen, wie sie wolle, sich eben nur nicht mehr
wirkungsvoll auf Vögel stürzen. Katzen zur Warnung der Vögel eine Glocke ans
Halsband zu binden habe sich als zwecklos erwiesen. Er fügte hinzu, in den
Vereinigten Staaten würden nach der niedrigsten Schätzung täglich eine Million
Singvögel von Katzen ums Leben gebracht, also 365 Millionen
pro Jahr (und das, so betonte er, sei eine konservative Schätzung, die die
verhungernden Jungtiere der getöteten Vögel nicht berücksichtige). Obwohl
Walter nicht zu begreifen schien, wie lästig es gewesen wäre, einer Katze jedes
Mal, wenn sie nach draußen wollte, einen Latz umzubinden, und wie albern eine
Katze in leuchtend blauem oder grünem Neopren aussähe, nahmen die älteren
Katzenbesitzer in der Straße die Lätze höflich von ihm entgegen und
versprachen, sie auszuprobieren, damit Walter sie in Ruhe ließ und sie die
Dinger wegwerfen konnten. Nur Linda Hoffbauer lehnte den Latz schlichtweg ab.
Walter kam ihr wie einer dieser Lenkungsstaat-Liberalen vor, die in den Schulen
Kondome verteilen und den Leuten die Waffen wegnehmen und alle zwingen wollten,
einen Personalausweis mit sich zu führen. Sie sah sich zu der Frage veranlasst,
ob die Vögel auf seinem Grundstück denn sein Eigentum seien, und
falls nicht, was es ihn dann eigentlich angehe, dass ihr Bobby sie gern jage. Walter antwortete mit irgendeinem Bürokratengeschwätz
über das Nordamerikanische Zugvögelgesetz, dem zufolge nicht zur Jagd
freigegebenen Vögeln, die die kanadische oder mexikanische Grenze überquerten,
nichts zuleide getan werden dürfe. Linda fühlte sich unangenehm an den neuen
Präsidenten des Landes erinnert, der ihre nationale Souveränität an die
Vereinten Nationen abtreten wollte, und so höflich es irgend ging, sagte sie
Walter, dass sie sehr damit beschäftigt sei, ihre Kinder großzuziehen, und ihm
dankbar wäre, wenn er nicht noch einmal an ihre Tür klopfen würde.
    Aus
diplomatischer Sicht hatte Walter einen ungünstigen Zeitpunkt gewählt, um mit
seinen Lätzen anzurücken. Das Land war in eine tiefe Rezession
hineingestolpert, der Aktienmarkt war baden gegangen, und es schien geradezu
unanständig von ihm, dass er weiterhin von Singvögeln besessen war. Selbst die
pensionierten Paare am Canterbridge Court hatten zu leiden -

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