Franzen, Jonathan
immer häufiger von dem Musiker Richard Katz. «O mein Gott», sagte
Eliza, «es könnte sein, dass ich mich verliebt habe. Ich sollte wohl mal
anfangen, ein braves Mädchen zu sein. So ein Hüne von Mann - es ist, als ob man
von einem Neutronenstern überrollt würde. Oder als ob ein Riesenradierer auf
einem rumradiert.»
Der
Riesenradierer hatte gerade am Macalester College Examen gemacht, arbeitete für
ein Abbruchunternehmen und war Gründer einer Punkband, die The Traumatics hieß
und nach Elizas fester
Überzeugung ganz groß herauskommen würde. Das Einzige, was ihre Idealisierung
von Katz ins Wanken brachte, war die Wahl seiner Freunde. «Er wohnt mit dieser
streberhaften Klette Walter zusammen», sagte sie, «so einem verklemmten Groupie, echt merkwürdig, ich kapier's nicht. Zuerst dachte ich, der ist sein
Manager oder so was, aber dafür ist er viel zu spießig. Als ich am Morgen aus
Katz' Zimmer komme, sitzt da Walter am
Küchentisch vor so einem großen Obstsalat, den er sich gemacht hat. Er liest
die New York Times, und das Erste, was er mich fragt,
ist, ob ich in letzter Zeit irgendwelche guten Inszenierungen gesehen
hätte. Im Theater, verstehst du? Also, Ein seltsames Paar ist nichts
dagegen. Du musst Katz mal kennenlernen, damit du begreifst, wie merkwürdig das
ist.»
Letztlich
haben sich für die Autobiographin wenige Umstände als so schmerzhaft erwiesen
wie die besondere Freundschaft zwischen Walter und Richard. Zumindest
oberflächlich betrachtet, gaben die beiden ein noch seltsameres Paar ab als
Patty und Eliza. Irgendein Genie in der Wohnungs- und Zimmervermittlung am
Macalester College hatte einen herzzerreißend verantwortungsbewussten jungen
Mann aus einer ländlichen Region Minnesotas mit einem ichbezogenen,
suchtgefährdeten, unzuverlässigen, gewieften Gitarrenspieler aus Yonkers, New
York, zusammen in ein Zimmer gesteckt. Die einzige Gemeinsamkeit der beiden,
die dem Menschen in der Wohnungs- und Zimmervermittlung bekannt gewesen sein
konnte, war die, dass sie beide mit finanzieller Unterstützung studierten.
Walter, nordisch-blond und eher schlaksig, war zwar größer als Patty, aber
nicht annähernd so groß wie Richard, der eins dreiundneunzig maß und ein
breites Kreuz hatte und so dunkelhäutig war wie Walter hell. An Richard fiel
eine starke Ähnlichkeit (im Lauf der Jahre von weit mehr Leuten bemerkt und
kommentiert als nur von Patty) mit dem libyschen Diktator Muammar al-Gaddafi
auf. Er hatte das gleiche schwarze Haar, die gleichen braunen, pockennarbigen
Wangen und das gleiche maskenhafte
Zufriedener-Machthaber-nimmt-Truppenparade-ab-und-prüft-Raketenwerfer-Lächeln
(Anm.: Erst ein paar Jahre nach dem College sah Patty ein Foto
von Gaddafi, und obwohl ihr dessen Ähnlichkeit mit Richard Katz sofort ins Auge
sprang, dachte sie sich nichts weiter dabei, dass Libyen das, wie ihr schien,
attraktivste Staatsoberhaupt der Welt hatte.) , und er
sah ungefähr fünfzehn Jahre älter aus als sein Freund. Walter erinnerte an
einen beflissenen «Sportwart», wie ihn Highschool-Mannschaften mitunter haben,
einen jener unsportlichen Jungs, die den Trainern assistieren, zu den Spielen
Schlips und Kragen tragen und mit einem Klemmbrett am Spielfeldrand stehen
dürfen. Sportler sind meistens geneigt, sie zu tolerieren, weil sie allesamt
präzise Spielbeobachter sind, und genau das war offenbar auch ein Element des
Walter-Richard-Nexus, denn Richard, so leicht ablenkbar und unzuverlässig er
in fast jeder Hinsicht sein mochte, nahm seine Musik rettungslos ernst, und
Walter besaß die nötige Kennerschaft, die ein Fan von Richards Sachen haben
musste. Später, als Patty beide Männer besser kannte, ging ihr auf, dass sie womöglich
gar nicht so verschieden waren - dass beide sich, wenn auch auf sehr
unterschiedliche Weise, bemühten, gute Menschen zu sein.
Patty
lernte den Radierer an einem schwülen Sonntagmorgen im August kennen, als sie
vom Joggen zurückkam. Er saß, während Eliza in ihrem unsäglichen Badezimmer
duschte, auf dem Wohnzimmersofa, das unter ihm gleich viel kleiner wirkte.
Richard trug ein schwarzes T-Shirt und las einen Taschenbuchroman mit einem
großen V auf dem Cover. Die ersten Worte,
die er an Patty richtete, und zwar erst nachdem sie sich, schweißnass, wie sie
war, ein Glas Eistee eingeschenkt hatte und daraus trank, lauteten: «Und was
bist du für eine.»
«Wie
bitte?»
«Was
machst du hier.»
«Ich wohne hier»,
sagte sie.
«Ja, das
sehe ich.» Richard
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