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Franzen, Jonathan

Franzen, Jonathan

Titel: Franzen, Jonathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Freihheit
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in meiner Gegenwart
nicht.»
    «Na ja,
dafür ist sie jetzt nach hinten gegangen.»
    «Verstehe.»
    «Tut mir
leid. Ich weiß, dass du mit ihr befreundet bist.»
    «Ach was,
ich find's gar nicht schlecht, das zu wissen.»
    «Das nötige
Kleingeld dafür hat sie offenbar.»
    «Ja, das
kriegt sie von ihren Eltern.»
    «Stimmt,
die Eltern.»
    Elizas Verschwinden schien Walter derart zu beschäftigen, dass Patty nichts
weiter sagte. Sie verspürte wieder einmal krankhaften Konkurrenzdruck. Noch war
sie sich kaum bewusst, überhaupt an Richard interessiert zu sein, da
fand sie es schon unfair, dass Eliza womöglich mehr als nur ihr Ich, ihr
angeborenes halb-hübsches Ich, zum Einsatz brachte - dass sie vielleicht
elterliche Quellen anzapfte -, um Richards Aufmerksamkeit zu fesseln und sich
Zugang zu ihm zu verschaffen. Wie dumm Patty war! Wie weit hinter anderen
zurück! Und wie hässlich alles auf der Bühne aussah! Die nackten Kabel und das
kalte Chrom des Schlagzeugs und die funktionalen Mikros und das Kidnapper-Klebeband
und die kanonenähnlichen Scheinwerfer: Das sah alles so hardcoremäßig aus.
    «Gehst du
oft auf Konzerte?», sagte Walter.
    «Nein, gar
nicht. Ich war erst auf einem.»
    «Hast du
Ohrstöpsel dabei?»
    «Nein.
Brauche ich welche?»

«Richard
spielt sehr laut. Du kannst meine nehmen. Sie sind fast neu.»
    Aus seiner
Hemdtasche holte er einen kleinen Beutel heraus, der zwei weißliche
Schaumgummilarven enthielt. Patty sah auf sie hinunter und bemühte sich nach
Kräften, freundlich zu lächeln. «Nein, danke», sagte sie.
    «Ich bin
ein sehr reinlicher Mensch», sagte er ernst. «Es besteht kein
Gesundheitsrisiko.»
    «Aber dann
hast du selber keine.»
    «Ich reiße
sie einfach in der Mitte durch. Du brauchst schon irgendwas zum Schutz.»
    Patty sah
zu, wie er die Ohrstöpsel vorsichtig zerteilte. «Ich kann sie ja erst mal in
der Hand behalten und abwarten, ob ich sie brauche oder nicht», sagte sie.
    Fünfzehn
Minuten lang standen sie dort. Eliza kam schließlich, schlitternd und tänzelnd
und strahlend, gerade in dem Moment zurück, als die Lichter im Saal gedämpft
wurden und das Publikum gegen die Bühne brandete. Gleich als Erstes entglitten
Patty daraufhin die Ohrstöpsel. Überhaupt gab es erheblich mehr Gerangel, als
die Situation zu erfordern schien. Ein dicker Mensch in Leder rempelte sie von
hinten an und stieß sie an den Bühnenrand.
    Eliza
hatte schon mal erwartungsvoll mit dem Haareschütteln und Hüpfen angefangen,
und so fiel die Aufgabe, den Dicken zurückzudrängen und Patty genügend Raum
zum Stehen zu verschaffen, Walter zu.
    Die
Traumatics, die jetzt auf die Bühne gerannt kamen, bestanden aus Richard,
seinem ewigen Bassisten Herrera und zwei mageren Jungs, die aussahen, als
hätten sie gerade mal die Highschool abgeschlossen. Damals, als noch nicht klar
war, dass er nie ein Star werden würde und deshalb besser damit fuhr, ein
Anti-Star zu sein, zog Richard noch eine richtige Show ab. Er wippte auf den
Zehen, vollführte, die Hand am Gitarrenhals, ruckartige kleine Halbpirouetten,
und anderes mehr. Er teilte dem Publikum mit, seine Band werde alle Songs
spielen, die sie draufhabe, und dafür fünfundzwanzig Minuten brauchen. Dann
rasteten er und die Band vollkommen aus und attackierten das Publikum mit
barbarischem Lärm, in dem Patty keinerlei Rhythmus ausmachen konnte. Die Musik
war wie Essen, das zu scharf ist, um nach irgendetwas zu schmecken, aber die
Abwesenheit von Rhythmus oder Melodie hinderte das Kernknäuel männlicher Punks
nicht daran, hoch und runter zu pogen und sich Schulterchecks zu verpassen und
gegen jeden Frauenknöchel zu treten, der gerade in der Nähe war. Bei dem
Versuch, sich von ihnen fernzuhalten, wurde Patty sowohl von Walter als auch
von Eliza getrennt. Der Lärm war einfach unerträglich. Richard und zwei andere
Traumatics grölten «I hate
sunshine! I hate sunshine!» in ihre Mikrophone,
und Patty, die Sonnenschein eigentlich ganz gern hatte, setzte ihre
basketballerischen Fähigkeiten ein, um augenblicklich zu flüchten. Mit
angewinkelten Ellenbogen bahnte sie sich einen Weg durch die Menge, stieß, als
sie aus dem Gedränge auftauchte, fast mit Carter und seinem Glitzermädchen
zusammen und hielt schnurstracks auf den Ausgang zu, bis sie in warmer,
frischer Septemberluft unter einem Himmel, in dem, erstaunlich für Minnesota,
immer noch Dämmerlicht war, auf dem Gehweg stand.
    Sie blieb
in der Nähe der Eingangstür stehen und beobachtete spät

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