Franzen, Jonathan
bringen und ihr Glück dort
versuchen. Und der Mietvertrag läuft erst in drei Monaten aus.»
«Wahnsinn.»
Patty kontrollierte tunlichst ihren Gesichtsausdruck. «Und ich würde in seinem
Zimmer wohnen.»
«Na ja, es
wäre dann ja nicht mehr seins», sagte Walter. «Sondern deins. Du hättest es
nicht weit zur Sporthalle. Ich meine, es wäre doch viel bequemer für dich, als
zwischen Edina und hier hin und her zu pendeln.»
«Und
deshalb fragst du mich, ob ich mit dir zusammenwohnen möchte.»
Walter
wurde rot und mied ihren Blick. «Du hättest ja ein eigenes Zimmer. Aber, klar,
wenn du ab und zu mal abends mit mir essen oder zusammensitzen willst, wäre das
natürlich auch schön. Ich glaube, ich bin jemand, der dir immer deinen Freiraum
lassen würde, aber da wäre, wenn du mal Gesellschaft brauchst.»
Patty
spähte ihm forschend ins Gesicht, um zu begreifen, was er meinte. Sie war a)
gekränkt und b) sehr traurig zu hören, dass Richard wegzog. Beinahe hätte sie
zu Walter gesagt, er solle sie doch vielleicht erst einmal küssen, bevor er sie
frage, ob sie bei ihm einziehen wolle, aber sie war so gekränkt, dass ihr in
diesem Moment gar nicht danach war, geküsst zu werden. Und dann wurde es im
Kino dunkel.
Soweit die
Autobiographin sich erinnert, ging es in Der Teufel von Athen um einen
sanftmütigen Athener Buchhalter mit Hornbrille, der eines Morgens auf dem Weg
zur Arbeit sein eigenes Konterfei auf dem Titelblatt einer Zeitung sieht und
darüber die Schlagzeile teufel von
athen immer noch auf freiem fuss . Die Leute auf der Straße zeigen sofort mit dem Finger auf ihn und beginnen,
ihn zu verfolgen, aber kurz bevor er ergriffen wird, rettet ihn eine Bande
Terroristen oder Verbrecher, die ihn mit ihrem teuflischen Anführer
verwechseln. Die Bande hat irgendeinen kühnen Plan, der darin besteht, den
Parthenon in die Luft zu sprengen oder so etwas, und der Held versucht, ihnen
immer wieder zu erklären, dass er nur ein sanftmütiger Buchhalter und nicht der Teufel ist, aber die Verbrecher zählen so sehr auf seine
Hilfe und der Rest der Stadt ist ihm so entschlossen auf den Fersen, dass es
schließlich zu jenem verblüffenden Moment kommt, in dem er sich die Brille von
der Nase reißt und zum furchtlosen Anführer der Bande wird - zum
Teufel von Athen! «Also gut, Männer», sagt er, «so funktioniert der Plan.»
Den ganzen
Film über sah Patty in dem Buchhalter Walter und stellte sich vor, wie er sich
in ähnlicher Manier die Brille von der Nase riss. Hinterher, beim Essen im
Vescio's, deutete Walter den Film als eine Parabel über den Kommunismus im
Nachkriegsgriechenland und erklärte Patty, dass die Vereinigten Staaten die
politische Unterdrückung dort drüben lange mitgetragen hätten, weil sie auf
NATO-Partner in Südosteuropa angewiesen gewesen seien. Der Buchhalter, sagte
er, sei eine Jedermann-Figur, die es mit der Zeit als ihre Pflicht erkenne,
sich an dem gewaltsamen Kampf gegen die Unterdrückung von rechts zu beteiligen.
Patty
trank Wein. «Da bin ich vollkommen anderer Meinung», sagte sie. «Ich glaube, es
geht darum, dass der Buchhalter vor lauter Verantwortungsbewusstsein und Ängstlichkeit
nie richtig gelebt hat und gar nicht weiß, wozu er eigentlich fähig ist. Er
wird überhaupt erst lebendig, als man ihn mit dem Teufel verwechselt. Und
obwohl er danach nur noch ein paar Tage weiterlebt, ist es gar nicht so schlimm
für ihn zu sterben, weil er endlich etwas mit seinem Leben angestellt und
gezeigt hat, was in ihm steckt.»
Walter
schien verwundert. «Das wäre dann aber doch ein ziemlich sinnloser Tod», sagte
er. «Er hat ja gar nichts erreicht.»
«Aber
warum sollte er sonst so gehandelt haben?»
«Aus
Solidarität mit der Verbrecherbande, die ihm das Leben gerettet hat. Ihm wird
klar, dass er Verantwortung für sie trägt. Sie sind die Benachteiligten, und
sie brauchen ihn, also hat er sich ihnen gegenüber loyal verhalten. Er ist aus
Loyalität gestorben.»
«Mein
Gott», staunte Patty. «Du bist wirklich ein unfassbar anständiger Mensch.»
«So fühlt
es sich aber gar nicht an», sagte Walter. «Ich fühle mich manchmal wie der
dümmste Mensch auf Erden. Ich wünschte, ich könnte
betrügen. Ich wünschte, ich könnte so völlig selbstbezogen
leben wie Richard und versuchen, eine Art Künstler zu sein. Jedenfalls liegt
es nicht an meiner Anständigkeit, dass ich das nicht kann. Ich habe einfach
nicht das Zeug dazu.»
«Aber der
Buchhalter hat auch gedacht, er hätte
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