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Franzen, Jonathan

Franzen, Jonathan

Titel: Franzen, Jonathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Freihheit
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leibhaftige Widerlegung dieser Theorie.
    Schon an
jenem ersten Abend machte Richard Bemerkungen über Frauen, die Walter nie
vergessen sollte. Er sagte, er sei unangenehm überrascht von dem hohen
Prozentsatz an übergewichtigen Tussen am Macalester. Er habe den Nachmittag
damit zugebracht, durch die umliegenden Straßen zu gehen und herauszufinden, wo
die Stadttussen so rumhingen. Dabei sei ihm aufgefallen, wie viele Leute
gelächelt und hallo gesagt hätten. Selbst die gutaussehenden Tussen hätten
gelächelt und hallo gesagt. Sei das in Hibbing auch so? Außerdem erzählte er,
er habe auf der Beerdigung seines Vaters einen ganz heißen Feger kennengelernt,
eine Cousine von ihm, die leider erst dreizehn sei und ihm nun Briefe über ihre
Abenteuer beim Masturbieren schreibe. Obwohl Walter zur Fürsorglichkeit gegenüber
Frauen eigentlich nie gedrängt werden musste, kann die Autobiographin nicht
umhin, an die Herausbildung polarisierender Spezialkompetenzen zu denken,
welche die Rivalität zwischen Geschwistern mit sich bringt, und sich zu fragen,
ob Richards Besessenheit davon, bei Frauen zu punkten, Walter nicht einen zusätzlichen
Anreiz gegeben haben mag, auf diesem konkreten Gebiet nicht zu konkurrieren.
    Wichtige
Tatsache: Richard hatte keinerlei Beziehung zu seiner Mutter. Sie war noch
nicht einmal zur Beerdigung seines Vaters gekommen. Laut dem, was Richard
Patty (viel später) erzählte, war die Mutter eine instabile Frau, die eines
Tages Nonne wurde, allerdings nicht ohne dem Kerl, der sie mit neunzehn
geschwängert hatte, vorher das Leben zur Hölle gemacht zu haben. Richards Vater
war Saxophonist und Bohemien im Greenwich Village gewesen,
die Mutter ein großgewachsenes, rebellisches WASP-Mädchen aus gutem Hause mit
schlechter Selbstbeherrschung. Nach vier wilden Jahren des Trinkens und der
seriellen Untreue überließ sie Mr. Katz die Aufgabe, ihren gemeinsamen Sohn
großzuziehen (zuerst im Village, dann in
Yonkers), und ging nach Kalifornien, wo sie Jesus fand und vier weitere Kinder
zur Welt brachte. Mr. Katz hörte mit dem Musikmachen auf, aber leider Gottes
nicht mit dem Trinken. Er arbeitete bei der Post und heiratete nie wieder, und
man wird mit Sicherheit sagen können, dass seine diversen jungen Freundinnen,
die sich in den Jahren, bevor der Alkohol ihn endgültig zugrunde richtete, die
Klinke in die Hand gaben, wenig dazu beitrugen, Richard die stabilisierende
mütterliche Präsenz zu bieten, die er brauchte. Eine von ihnen raubte die
Wohnung aus und verschwand; eine andere erleichterte Richard, als sie auf ihn
aufpassen sollte, um seine Jungfräulichkeit. Kurz nach diesem Vorfall schickte
Mr. Katz Richard über den Sommer zu seiner Stieffamilie, wo er es jedoch nur
eine Woche aushielt. An seinem ersten Tag in Kalifornien versammelte sich die
ganze Familie um ihn, und alle fassten sich bei den Händen, um Gott dafür zu
danken, dass er heil angekommen war; und von da an wurde es anscheinend immer
noch bizarrer.
    Walters
Eltern, die nur Geselligkeitskirchgänger waren, öffneten dem großgewachsenen
Waisen ihr Haus. Vor allem Dorothy schloss
Richard ins Herz - hegte womöglich sogar eine züchtige, kleine Dorothyschwäche
für ihn - und ermutigte ihn, seine Ferien in Hibbing zu verbringen. Richard
brauchte wenig Ermutigung, schließlich hätte er sonst gar nicht gewusst, wohin.
Gene war begeistert, weil er sich fürs Schießen interessierte und generell
nicht so «etepetete» war, wie er es von einem, mit dem Walter sich anfreundete,
befürchtet hatte, und Dorothy beeindruckte
er, indem er ihr im Haushalt half. Richard hatte, wie an anderer Stelle bereits
angemerkt, den starken (wenn auch äußerst sporadischen) Wunsch, ein guter
Mensch zu sein, und zu jemandem wie Dorothy, den er für gut erachtete, war er über die Maßen höflich. Sein Verhalten
ihr gegenüber, wenn er sie auf einen schlichten Eintopf ansprach, den sie
gekocht hatte, und wissen wollte, woher sie das Rezept habe und wo man sich
über ausgewogene Ernährung informieren könne, kam Walter falsch und
herablassend vor, weil die Chance, dass Richard tatsächlich jemals Lebensmittel
einkaufen gehen und selbst einen Eintopf kochen würde, gleich null war und er
sich außerdem in den alten Richard zurückverwandelte, sobald Dorothy den Raum verließ. Aber Walter stand mit ihm in einem
Konkurrenzverhältnis, und wenn er auch nicht darin brilliert haben mag,
Stadttussen abzuschleppen - Frauen ernsthaft und aufmerksam zuzuhören war

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