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Franzen, Jonathan

Franzen, Jonathan

Titel: Franzen, Jonathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Freihheit
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die,
egal wie winzig oder eingebildet sie auch sind, das Gefühl der Einzigartigkeit
rechtfertigen. Die Mädchen glaubten natürlich, sie könnten nicht stärker mit
Richard verbunden sein, als wenn sie sich im Koitus mit ihm vereinten, sodass
sich ihre Flüssigkeiten mischten. Offensichtlich war Walter für sie nur ein
lästiges kleines, unbedeutendes Insekt, dabei war es Walter, der
Richard für Anton Webern und Benjamin Britten begeistert hatte, Walter, dem
Richard den politischen Rahmen für seine zornigsten frühen Songs verdankte, Walter, für den
Richard wirklich tiefgehende Gefühle hegte. Es war schlimm genug, von
attraktiven Mädchen so kontinuierlich die kalte Schulter gezeigt zu bekommen,
aber schlimmer noch war Walters Ahnung - die er Patty in den Jahren
anvertraute, als sie keine Geheimnisse voreinander hatten -, dass er im Kern
keinen Deut anders war als sie: dass auch er eine Art Parasit war, der sich
durch seine einzigartige Verbindung zu Richard cooler und besser fühlen wollte.
Und am allerschlimmsten war sein Verdacht, dass Richard das wusste und dadurch
nur noch einsamer und unnahbarer war.
    Als
besonders toxisch entpuppte sich die Situation im Fall von Eliza, die sich
nicht damit zufriedengab, Walter zu ignorieren, sondern alles daran setzte,
ihn im Innersten zu treffen. Wie, fragte sich Walter, konnte Richard weiter mit
jemandem schlafen, der sich seinem besten Freund gegenüber bewusst so garstig
benahm? Walter war inzwischen erwachsen genug, um nicht noch einmal die Schweigenummer
durchzuziehen, aber er hörte auf, für Richard Essen zu machen, und auf seine
Konzerte ging er letztlich nur noch, um sein Missfallen über Eliza zu bekunden
und ihn, später, durch seine Anwesenheit davon abzuhalten, das Koks zu nehmen,
mit dem sie ihn am laufenden Band versorgte. Natürlich ließ sich Richard von
gar nichts abhalten, wenn man ihm moralisch kam. Damals genauso wenig wie
irgendwann sonst.
    Die
Einzelheiten ihrer Gespräche über Patty sind leider nicht bekannt, aber der
Autobiographin gefällt der Gedanke, dass sie völlig anders waren als die
Gespräche über Nomi oder Eliza. Denkbar ist, dass Richard Walter gedrängt hat,
ihr gegenüber entschlossener aufzutreten, worauf Walter irgendeinen Mumpitz
erwidert haben mag, etwa dass sie doch vergewaltigt worden sei oder an Krücken
gehe, aber es gibt weniges, das man sich schwerer vorstellen kann als die
Gespräche anderer Leute über einen selbst. Was Richard insgeheim für Patty
empfand, wurde ihr eines Tages klarer; darauf kommt die Autobiographin zu einem
späteren Zeitpunkt noch zurück. Vorläufig genügt es festzuhalten, dass er nach
New York zog und dort blieb, während Walter ein paar Jahre lang zu sehr damit
beschäftigt war, sein eigenes Leben mit Patty aufzubauen, um ihn sonderlich zu
vermissen.
    Was damals
geschah, war, dass Richard mehr zu Richard wurde und Walter mehr zu Walter.
Richard ließ sich in Jersey City nieder und meinte, dass es nunmehr
unbedenklich sei, mit dem Geselligkeitstrinken zu experimentieren, um dann,
nach einer Phase, die er später als «recht ausschweifend» bezeichnete, zu dem
Schluss zu kommen, nein, ganz so unbedenklich sei es wohl doch nicht. Solange
er mit Walter zusammengewohnt hatte, war es ihm gelungen, den Alkohol, an dem
sein Vater zugrunde gegangen war, zu meiden, hatte nur dann gekokst, wenn er
dafür kein Geld hinlegen musste, und sich musikalisch ständig weiterentwickelt.
Auf sich allein gestellt, war er jedoch eine Zeitlang ziemlich neben der Spur.
Er und Herrera brauchten ganze drei Jahre, um die Traumatics wiederzubeleben -
mit der hübschen, problembehafteten Blondine Molly Tremain im Bunde, die als Verstärkung für den Gesang hinzugekommen
war - und bei einem winzigen Label ihre erste LP, Greetings from the Bottom of the Mine Shaft, herauszubringen.
Eines Abends, als die
Band in Minneapolis auftrat, ging Walter
ins Entry, um sie spielen zu hören, aber gegen halb elf war er, mit
sechs Exemplaren der LP unter dem Arm, schon wieder zu Hause bei Patty und der
kleinen Jessica. Richard hatte eine Art Nische gefunden, wie er tagsüber Geld
verdienen konnte, indem er Dachterrassen für diejenigen Yuppies aus Lower Manhattan
baute, denen der Kontakt mit Künstlern und Musikern einen Coolnesskick
verschaffte, d. h., die kein Problem damit hatten, wenn der Terrassenbauer
seinen Arbeitstag um zwei Uhr am Nachmittag begann und ein paar Stunden später
wieder beendete, sodass er für einen Fünftagejob drei

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