Franzen, Jonathan
nicht.»
«O Gott»,
sagte Patty, «du solltest ihm aber auf jeden Fall vertrauen. Du bedeutest ihm
doch schließlich auch viel. Er hat dir gegenüber einen ganz starken
Beschützerinstinkt.»
«Nicht
immer.»
«Also, in
den Gesprächen mit mir schon. Weißt du nicht, wie sehr er dich bewundert?»
Walter
starrte wütend auf sie herab. «Warum bist du dann mit ihm mitgefahren? Warum
war er mit dir in Chicago? Warum, verdammte Scheiße? Ich
verstehe das nicht!»
Als sie
ihn verdammte Scheiße sagen hörte und sah, wie sehr ihn seine Wut zu
erschrecken schien, fing sie wieder an zu weinen. «0 Gott,
Walter, bitte», sagte sie, «ich bin doch hier. Ja? Ich bin deinetwegen hier!
Und in Chicago ist nichts passiert. Rein gar nichts.»
Sie zog
ihn näher zu sich heran, zog kräftig an seinen Hüften. Aber anstatt ihre Brüste
anzufassen oder ihr die Jeans herunterzuzerren, wie Richard es bestimmt getan
hätte, stand er auf und lief in Zimmer 21 auf und ab.
«Ich bin
nicht sicher, ob das hier richtig ist», sagte er. «Ich bin nämlich nicht blöd,
weißt du. Ich habe Augen und Ohren, ich bin nicht blöd. Ich weiß
wirklich nicht, was ich jetzt machen soll.»
Es war
eine Erleichterung zu hören, dass er Richard betreffend nicht blöd war; aber
ihr wollte nun nichts mehr einfallen, womit sie ihn beruhigen konnte. Sie lag
auf dem Bett und lauschte dem Regen auf dem Dach, sich darüber im Klaren, dass
sich diese ganze Szene hätte vermeiden lassen, wenn sie nie in Richards Auto
gestiegen wäre; dass sie irgendeine Strafe verdient hatte. Und dennoch fiel es
schwer, sich nicht auszumalen, wie all dies besser hätte laufen können. Es war
ein Vorgeschmack auf die nächtlichen Szenen späterer Jahre: wie Walters
wunderschöne Wut einfach so verrauchte, wäh rend sie weinte und er sie bestrafte und sich dafür entschuldigte, dass er
sie bestrafte, indem er sagte, sie seien beide hundemüde und es sei sehr spät,
und das war es auch: so spät, dass es schon wieder früh war.
«Ich nehme
jetzt ein Bad», sagte sie dann.
Er saß auf
dem anderen Bett, die Ellbogen auf die Knie gestützt, und verbarg sein Gesicht
in den Händen. «Entschuldige», sagte er. «Das hat wirklich nichts mit dir zu
tun.»
«Also,
weißt du was? So toll finde ich es nun auch wieder nicht, das andauernd zu
hören.»
«Entschuldige.
Ob du's glaubst oder nicht, ich meine damit etwas Nettes.»
«Und
steht bei mir im Augenblick auch nicht allzu weit oben
auf der Liste.»
Ohne die
Hände vom Gesicht zu nehmen, fragte er sie, ob er ihr beim Baden behilflich
sein könne.
«Geht
schon», sagte sie, obwohl Baden eine ziemliche Herausforderung war, wenn man
dabei ein geschientes und bandagiertes Knie hochlegen musste, damit es nicht
nass wurde. Als sie eine halbe Stunde später im Pyjama wieder aus dem
Badezimmer kam, schien Walter sich keinen Millimeter bewegt zu haben. Sie stand
vor ihm und blickte auf seine hellen Locken und schmalen Schultern hinab.
«Also, Walter», sagte sie. «Wenn du willst, kann ich morgen früh wieder
abfahren. Aber jetzt muss ich
schlafen. Und du solltest das auch tun.»
Er nickte.
«Es tut
mir leid, dass ich mit Richard nach Chicago gefahren bin. Es war meine Idee,
nicht seine. Du solltest mir Vorwürfe machen, nicht ihm. Aber im Moment sorgst
du bloß dafür, dass ich mich irgendwie beschissen fühle.»
Er nickte
und stand auf.
«Gibst du
mir einen Gutenachtkuss?», sagte sie. Das tat er, und es war besser als
Streiten, so viel besser, dass sie kurz darauf zusammen unter der Decke lagen
und die Lampe ausschalteten. Tageslicht sickerte rings um die Vorhänge herum
ins Zimmer - im Mai kam die Morgendämmerung im Norden des Landes früh.
«Ich weiß
im Grunde nichts über Sex», gestand Walter.
«Ach»,
sagte sie, «so kompliziert ist das nicht.»
Und so
begannen die glücklichsten Jahre ihres Lebens. Vor allem für Walter war es eine
schwindelerregende Zeit. Er nahm die Frau in Besitz, die er hatte haben wollen,
die Frau, die mit Richard hätte auf und davon gehen können, sich aber für ihn
entschieden hatte, und dann, drei Tage später, endete in dem evangelischen
Krankenhaus sein lebenslanger Kampf gegen seinen Vater mit dessen Tod. (Tot ist
ein Vater so besiegt, wie er nur sein kann.) Patty war an jenem Morgen zusammen
mit Walter und Dorothy im
Krankenhaus und ließ sich von deren Tränen dazu hinreißen, selbst ein bisschen
zu weinen, und als sie in nahezu völligem Schweigen zum Motel zurückfuhren,
kam
Weitere Kostenlose Bücher