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Franzen, Jonathan

Franzen, Jonathan

Titel: Franzen, Jonathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Freihheit
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er sie: dass das
Verlangen nach Sex mit ihrem Partner etwas (na gut, das Wichtigste) war, das
sie im Tausch gegen all die schönen Seiten ihres gemeinsamen Lebens aufgegeben
hatte. Und das dem Mann zu gestehen, den man liebte, erwies sich nun einmal als
einigermaßen schwierig. Walter tat sein Möglichstes, damit Sex schöner für sie
wurde, nur das Eine, das eventuell funktioniert hätte, tat er nicht, nämlich
aufzuhören, sich Gedanken darüber zu machen, wie es schöner für sie werden
könnte, und sie stattdessen eines Abends über den Küchentisch zu beugen und von
hinten zu nehmen. Aber der Walter, der das hätte tun können, wäre nicht Walter
gewesen. Er war, wie er war, und so, wie er war, wollte er von Patty gewollt
werden. Er wollte Gegenseitigkeit! Der Nachteil, wenn sie ihm einen blies, war
deshalb der, dass er sich dann seinerseits mit dem Mund an ihr zu schaffen
machte, wofür sie jedoch viel zu empfindlich war. Erst Jahre später, nachdem
sie sich lange dagegen gewehrt hatte, sollte es ihr gelingen, ihn davon
abzubringen. Mit dem Ergebnis, dass sie ein furchtbar schlechtes Gewissen
hatte, aber auch wütend und gereizt war, weil
sie sich als eine solche Versagerin fühlen musste. Richards und Mollys Müdigkeit an jenem Nachmittag, als sie bei ihnen zu Besuch waren, kam
Patty jedenfalls wie die Müdigkeit von Leuten vor, die die ganze Nacht über
gevögelt haben, und es sagt eine Menge über ihren damaligen Geisteszustand aus
- darüber, wie öde Sex für sie war und wie vollkommen sie darin aufging,
Jessicas und Joeys Mutter zu sein -, dass sie die beiden noch nicht einmal darum beneidete. Sex erschien ihr als ein
Zeitvertreib für junge Leute, die nichts Besseres zu tun haben. Davon beflügelt
wirkten Richard und Molly ganz
gewiss nicht.
    Und dann
zogen die Traumatics weiter - erst zu ihrem nächsten Konzert in Madison und dann zur Veröffentlichung weiterer verschroben betitelter Alben,
die eine bestimmte Art von Kritikern und ungefähr fünftausend andere Menschen
auf der Welt gern hörten, mit Auftritten in kleinem Rahmen vor ungepflegten,
gebildeten weißen Männern, die nicht mehr so jung waren wie früher -, während
Patty und Walter ihr zumeist recht absorbierendes Alltagsleben weiterführten,
in dem die wöchentlichen dreißig Minuten sexuellen Stresses eine chronische,
aber geringfügige Unannehmlichkeit darstellten, ähnlich der hohen
Luftfeuchtigkeit in Florida. Die Autobiographin räumt allerdings ein, dass
zwischen dieser kleinen Unannehmlichkeit und den großen Fehlern, die Patty
damals als Mutter machte, womöglich ein Zusammenhang bestand. Wo Elizas Eltern sich, vor langer Zeit, zu sehr miteinander und zu wenig mit
Eliza befasst hatten, unterlief Patty in Bezug auf Joey wohl eher der
gegenteilige Fehler. Aber auf diesen Seiten ist schon von so vielen anderen,
nicht-elterlichen Irrtümern zu berichten, dass es schier unmenschlich
schmerzhaft erscheint, zusätzlich noch auf ihren Fehlern mit Joey
herumzureiten; die Autobiographin fürchtet, dass sie sich dann einfach auf den
Boden legen müsste und nie wieder hochkommen würde.
    Fürs Erste
jedoch wurden Walter und Richard wieder dicke Freunde. Walter kannte eine
Vielzahl von Leuten, aber die Stimme, die er beim Nachhausekommen am liebsten
auf dem Anrufbeantworter hörte, war die von Richard, der dann zum Beispiel
sagte: «Yo, Jersey City hier. Wollte mal wissen, ob du mir was Aufbauendes über
die Lage in Kuwait sagen kannst. Ruf mich zurück.» Dank der Häufigkeit von
Richards Anrufen, aber auch deshalb, weil er jetzt deutlich ungeschützter mit
Walter sprach - er kenne niemanden wie ihn und Patty, sie seien die
Rettungsleine, die ihn mit einer vernünftigen, hoffnungsvollen Welt verbinde
-, begriff Walter endlich, dass Richard ihn wirklich mochte und brauchte und
nicht nur passiv einwilligte, sein Freund zu sein. (Das war der Kontext, in
dem Walter voller Dankbarkeit den Rat seiner Mutter in puncto Loyalität
zitierte.) Wann immer also eine weitere Tournee die Traumatics in die Stadt
führte, nahm Richard sich die Zeit, Walter und Patty zu besuchen; meistens
allein. Ein besonderes Interesse zeigte er an Jessica, die er für eine wahrhaft
gute Seele hielt, aus demselben Holz geschnitzt wie ihre Großmutter,
und der er alle möglichen ernsthaften Fragen über ihre Lieblingsschriftsteller
und ihre freiwillige Mitarbeit in der kommunalen Suppenküche stellte. Obwohl
Patty sich vielleicht eine Tochter gewünscht hätte, die ihr mehr

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