Franzen, Jonathan
Walter ihre
Freundschaft zu ihrem Sohn zerstört hatte, nicht äußern durfte. Indem er ihr
Bett teilte, indem er ihr Ehemann war, indem er darauf pochte, dass sie auf der
Erwachsenenseite blieb, hatte Walter Joey weisgemacht, Patty befände sich im
feindlichen Lager. Dafür hasste sie Walter und haderte mit ihrer Ehe, und Joey
zog zu Hause aus und bei den Monaghans ein und ließ alle mit bitteren Tränen
für ihre Fehler bezahlen.
Obwohl sie
hiermit kaum an der Oberfläche gekratzt hat, ist es mehr, als die
Autobiographin über diese Jahre eigentlich hatte sagen wollen, und jetzt wird
sie tapfer voranschreiten.
Einen
kleinen Vorteil brachte es immerhin mit sich, dass sie das Haus mehr für sich
hatte, denn nun konnte sie die Musik hören, die sie wollte, insbesondere die
Countrymusik, bei deren leisesten Anklängen Joey bereits gequält und voller
Abscheu aufgejault hatte und von der Walter mit seinen Collegeradio-Vorlieben
nur eine schmale und vorwiegend klassische Auswahl tolerierte: Patsy Cline,
Hank Williams, Roy Orbison, Johnny Cash. Patty
mochte all diese Sänger auch, aber Garth Brooks und
die Dixie Chicks mochte sie nicht weniger. Sobald
Walter am Morgen zur Arbeit aufgebrochen war, drehte sie den Ton auf eine mit
Denken unvereinbare Lautstärke und tauchte in Leidensgeschichten ein, die
ihrer eigenen ähnlich genug waren, um etwas Tröstliches an sich zu haben, und
doch auch weit genug davon abwichen, um irgendwie amüsant zu sein. Patty
brauchte Texte und Geschichten - Walter hatte es längst aufgegeben, sie für
Ligeti und Yo La Tengo zu interessieren - und wurde untreuer Männer und starker
Frauen und des unerschütterlichen Lebensmuts von Menschen nie müde.
Zur selben
Zeit gründete Richard seine neue Alternative-Country-Band Walnut Surprise, mit
drei jungen Männern, die zusammengenommen nicht viel älter waren als er
allein. Richard hätte womöglich mit den Traumatics weitergemacht und weitere
Alben ins Nichts geschickt, wenn sich nicht ein merkwürdiger Unfall ereignet
hätte, der nur Herrera passieren konnte, seinem alten Freund und Bassisten,
dessen Schlendrian und Desorganisiertheit Richard im Vergleich zu ihm wie den
Mann im grauen Flanell aussehen ließen. Nachdem Herrera Jersey City für zu bourgeois (!) und nicht deprimierend genug befunden hatte, war er nach
Bridgeport, Connecticut, gezogen und hatte dort in einem Elendsviertel seine
Zelte aufgeschlagen. Eines Tages nahm er in Hartford an einer Kundgebung für
Ralph Nader und andere Kandidaten der Green Party teil und dachte sich ein
Spektakel aus, das er Dopplerpus nannte, bestehend aus einem gemieteten
Karussell in Form eines Oktopusses, auf dessen Tentakeln er und sieben Freunde
von ihm saßen und über tragbare Verstärker Klagelieder sangen, während das
Karussell sie im Kreis herumfliegen ließ und den Sound auf interessante Weise
verzerrte. Herreras Freundin erzählte Richard später, der Dopplerpus sei
«phantastisch» gewesen, ein «Riesenhit» für die «mehr als hundert» Leute, die
zu der Kundgebung gekommen seien, aber danach, als Herrera alles wieder
eingepackt habe, sei sein Kleinbus plötzlich einen Abhang hinuntergerollt, und
Herrera sei hinterhergerannt und habe durchs Fenster in den Wagen
hineingegriffen und das Lenkrad gepackt, woraufhin der Kleinbus im
Herumschleudern gegen eine Steinmauer geprallt sei und ihn eingequetscht habe.
Irgendwie hatte er es geschafft, zu Ende einzupacken und, immer wieder Blut
hustend, zurück nach Bridgeport zu fahren, wo er an einem Riss in der Milz,
fünf gebrochenen Rippen, einem gebrochenen Schlüsselbein und einem perforierten
Lungenflügel beinahe draufgegangen wäre, hätte ihn seine Freundin nicht gerade
noch rechtzeitig in ein Krankenhaus gebracht. Der Unfall, der auf die Enttäuschungen
mit Insanely Happy folgte,
schien Richard ein kosmisches Zeichen zu sein, und da er nicht leben konnte,
ohne Musik zu machen, hatte er sich mit einem jungen Fan von ihm
zusammengetan, der mörderisch gut Pedal-Steel-Gitarre spielte, und Walnut
Surprise war geboren.
Richards
Privatleben war in kaum besserem Zustand als Walters und Pattys. Er hatte auf der letzten Traumatics-Tournee mehrere tausend Dollar
Verlust gemacht und dann dem nichtkrankenversicherten Herrera weitere Tausende
für dessen Behandlungskosten «geliehen», und seine häusliche Situation ging,
wie er Walter am Telefon sagte, gerade den Bach runter. Was Richards ganze Existenz
seit zwanzig Jahren überhaupt möglich machte, war
Weitere Kostenlose Bücher