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Franzen, Jonathan

Franzen, Jonathan

Titel: Franzen, Jonathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Freihheit
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seine große
Erdgeschosswohnung in Jersey City, für die er eine so geringe Miete zahlte,
dass sie als nominell zu bezeichnen war. Richard konnte sich nie dazu
aufraffen, irgendetwas auszurangieren, und die Wohnung war so groß, dass er das
auch nicht musste. Auf einer seiner Reisen nach New York war Walter dort
gewesen und hatte berichtet, der Flur vor Richards Wohnungstür sei mit
ausgedienten Stereoanlagen, Matratzen und Ersatzteilen für seinen Pick-up-Truck
zugemüllt, während der Hinterhof sich mehr und mehr mit Zubehör und Überbleibsein
seiner Dachterrassenbauerei fülle. Das Beste sei noch ein Zimmer im Keller
direkt unter seiner Wohnung, wo die Traumatics hätten proben (und später
aufnehmen) können, ohne die anderen Mieter zu sehr zu stören. Richard war immer
auf ein gutes Einvernehmen mit ihnen bedacht gewesen, aber nach seiner
Trennung von Molly hatte er
sich den schlimmen Fehler geleistet, einen Schritt weiterzugehen und mit einer
von ihnen etwas anzufangen.
    Zuerst
hatte darin niemand einen Fehler gesehen außer Walter, der sich für einzigartig
qualifiziert hielt, den Murks zu erkennen, den Richard bei Frauen machte. Ais
Richard am Telefon sagte, es sei jetzt an der Zeit, die Kindereien hinter sich
zu lassen und eine richtige Beziehung mit einer erwachsenen Frau einzugehen,
hatten die Alarmglocken in Walters Kopf zu läuten begonnen. Die Frau war eine
Ecuadorianerin namens Ellie Posada. Sie war Ende dreißig und hatte zwei Kinder,
deren Vater, ein Limousinen-Chauffeur, angefahren und getötet worden war, als
sein Wagen auf dem Pulaski Skyway eine Panne
gehabt hatte. (Richard, das entging Pattys Aufmerksamkeit
nicht, trieb es zwar mit vielen sehr jungen Mädchen aus Spaß, die Frauen
jedoch, mit denen er längerfristige Beziehungen hatte, waren so alt wie er oder
sogar älter.) Ellie arbeitete bei einer Versicherungsagentur und wohnte auf
derselben Etage wie Richard ihm genau gegenüber. Fast ein Jahr lang erstattete
er Walter frohgemut Bericht darüber, wie unerwartet gut ihre Kinder und er
sich verstünden und wie großartig es sei, zu einer Frau wie Ellie nach Hause zu
kommen, und wie uninteressant er jetzt alle Frauen, die nicht Ellie seien,
finde, und dass er seit damals, als sie beide zusammengewohnt hätten, nicht
mehr so gut gegessen oder sich so gesund gefühlt habe und (hier schrillten
Walters Alarmglocken nun wirklich los) wie faszinierend er das
Versicherungswesen finde. Zu Patty sagte Walter, er habe während dieses
demonstrativ glücklichen Jahrs etwas verräterisch Entrücktes oder
Geistesabwesendes oder Verträumtes aus Richards Tonfall herausgehört, und es
kam für ihn keineswegs überraschend, als Richards Natur ihn schließlich wieder
einholte. Die Musik, die er mit Walnut Surprise zu machen begann, entpuppte
sich als mindestens so faszinierend wie das Versicherungswesen, und die
spindeldürren Tussen in der Umlaufbahn seiner jungen Bandmitglieder entpuppten
sich als doch nicht so uninteressant, und Ellie entpuppte sich als strenge
Gesetzesauslegerin, was die Ausschließlichkeit sexueller Kontakte betraf, und
schon bald hatte er Angst, abends sein eigenes Gebäude zu betreten, weil Ellie
dort auf der Lauer lag. Kurz darauf stachelte sie die anderen Mieter des
Gebäudes dazu an, sich in Form einer Sammelbeschwerde über die ungeheuerliche
Aneignung der Gemeinschaftsräume durch Richard zu beklagen, und sein bis dahin
nicht in Erscheinung getretener Vermieter schickte ihm unbarmherzige
Einschreiben, und am Ende war Richard, im Alter von vierundvierzig Jahren, mitten
im Winter obdachlos, hatte alle seine Kreditkartenlimits ausgeschöpft und eine
monatliche Rechnung von dreihundert Dollar für die Lagerung seines Schamotts zu
zahlen.
    Nun schlug
Walters Stunde als Richards großer Bruder. Er bot ihm eine Möglichkeit,
mietfrei zu wohnen, sich in einsamer Umgebung dem Schreiben seiner Songs zu
widmen und gutes Geld zu verdienen - und währenddessen sein Leben in Ordnung zu
bringen. Walter hatte von Dorothy das schöne
kleine Haus am See unweit von Grand Rapids geerbt. Er
plante innen wie außen einige größere bauliche Veränderungen, die selbst in
Angriff zu nehmen er, seitdem er bei 3M gekündigt
und bei The Nature Conservancy angeheuert
hatte, schlicht keine Zeit fand, und er schlug Richard vor, dort draußen zu
wohnen, mit der Renovierung der Küche zu beginnen und, sobald der Schnee
geschmolzen wäre, auf der Rückseite des Hauses eine große Holzterrasse zu
bauen, mit Blick

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