Franziskus, der neue Papst (German Edition)
Leidenschaft nach, dem Sport. Jorge liebte den Fußball, bis heute ist er Anhänger des Hauptstadtclubs San Lorenzo. Mit seinem Vater allerdings schaute er regelmäßig Basketball, ebenfalls ein Volkssport in Argentinien. Unter der Woche ging sein Vater arbeiten, er verdiente sein Gehalt als Eisenbahnangestellter. Geld für ein Auto oder Reisen war nicht vorhanden, trotzdem konnte die Familie Bergoglio ein größtenteils sorgenfreies Leben führen. Die siebenköpfige Familie wohnte im Stadtteil Flores, der vor der Jahrhundertwende ein eigenständiger Vorort war, in dem sich viele gutsituierte Bürger Häuser geleistet hatten. Später wurde Flores eingemeindet und eher ein Viertel, in der sich die argentinische Mittelklasse einmietete, mit einigen ärmeren Straßenzügen am Rande. In den Kindertagen Bergoglios war Flores vor allem bekannt für das Pueyrredón-Theater, in dem der berühmte Leonel Edmundo Rivero mit seinen Tangoeinlagen die Gäste begeisterte. Es gibt sogar einen eigenen Tango-Song, der dem Viertel gewidmet ist und »San José de Flores« wie die Kirche des Viertels heißt – wenig verwunderlich, dass Bergoglio später den Tango zu lieben und selbst zu tanzen lernte.
Bereits in der Jugend arbeitete Jorge. Die Mutter wollte, dass er diese Erfahrungen sammelte. Er besuchte außerdem eine staatliche Schule und begann eine Ausbildung zum Chemietechniker – wenngleich sein Weg rasch eine andere Richtung einschlagen sollte. Über die Jugendzeit werden inzwischen immer mehr Details bekannt. Direkt nach seiner Wahl überstürzten sich die Medien, biografische Details zu Tage zu fördern. Zum Beispiel über die Freundin Jorges. In einem Interview-Buch hatte der damalige Kardinal Bergoglio über sie gesagt: »Sie war aus einer Gruppe von Freunden, mit denen wir immer zusammen zum Tanzen gingen.« Argentinische Medien interviewten am Tag nach der Wahl Amalia, eine Jugendfreundin, der Jorge im Alter von zwölf Jahren einen Heiratsantrag gemacht haben soll. In einem Brief, mit dem dazugehörigen Haus als Versprechen. Inwieweit das stimmt und ob beide Freundinnen unterschiedliche Personen sind oder nicht, das bleibt offen. Es ist aber auch nicht wichtig. Klar scheint nur: Jorge war in seiner Kindheit ein lebhaftes Kind, ein ganz normaler Heranwachsender. Bis zu jenem Tag im September 1953.
Am 21. September 1953 feierte der 17-Jährige mit seinen Mitschülern einen Studientag. Jorge ging in die Kirche »San José de Flores« und betrat den Beichtstuhl. Dort, so hatte er einmal erzählt, habe er dann das entscheidende Berufungserlebnis gehabt: »Ich wurde mir bewusst, dass sie mich erwarten. Das ist eine religiöse Erfahrung: das Staunen, jemanden zu treffen, der dich erwartet. Von diesem Moment an war Gott für mich der geworden, zu dem ich voranschreiten wollte.« Von diesem Tag an stand für Bergoglio tatsächlich fest, Priester zu werden. Der Vater konnte mit der Entscheidung seines Ältesten gut leben, die Mutter nicht. Sie wollte ihn dazu bringen zu arbeiten, zu studieren, irgendetwas anderes zu tun. Alles, nur nicht Priester zu werden. Ihr Sohn wollte es trotzdem. Mit 21 Jahren trat Bergoglio durch die Türe des Noviziats der »Gesellschaft Jesu« – Bergoglio machte sich auf den Weg, Jesuit zu werden.
Die Jahre, in denen Bergoglio sein Noviziat durchläuft, studiert und sich auf seine Priesterweihe vorbereitet, sind bewegte Jahre. In Lateinamerika gibt es zahlreiche politische Umbrüche und Veränderungen, auch in der Kirche. Zwei Schlagworte können sie gut zusammenfassen: »Theologie der Befreiung« und »Option für die Armen«. Die »Option für die Armen« ist eine theologische Lehre, für die es biblische Bezüge gibt, beispielsweise die Seligpreisungen. Allerdings hat die Kirche diese »Option« nie so weit und konsequent ausgelegt, wie es Kardinäle, Bischöfe, Priester und Laien im August 1968 in Medellín tun. In der kolumbianischen Millionenstadt erlebt Lateinamerikas Kirche ihre Emanzipation. Sie formuliert eigene Grundsätze, definiert ihr Profil eigenständig und nicht so stark vom europäischen Mutterkontinent geprägt wie in den Jahrhunderten und Jahrzehnten zuvor. Jorge Mario Bergoglio ist zu diesem Zeitpunkt 31 Jahre alt. Zehn Jahre zuvor war er bei den Jesuiten eingetreten. Er durchläuft die Ausbildung der Jesuiten, die berühmt ist für ihre Strenge, aber auch hervorragende Qualität. Ignatius hatte seine Ordensmitbrüder von Beginn an geistig und spirituell schulen wollen, hatte sie
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