Franziskus - Zeichen der Hoffnung: Das Erbe Benedikts XVI. und die Schicksalswahl des neuen Papstes (German Edition)
gekommen sei als »Sohn des deutschen Volkes, über das eine Schar von Verbrechern mit lügnerischen Versprechungen, mit der Verheißung der Größe, des Wiedererstehens der Ehre der Nation und ihrer Bedeutung, mit der Verheißung des Wohlergehens und auch mit Terror und Einschüchterung Macht gewonnen hatte, sodass unser Volk zum Instrument ihrer Wut des Zerstörens und des Herrschens gebraucht und missbraucht werden konnte«.
Ich konnte damals die Empörung der Israelis über die Rede gut verstehen und tue es noch heute. An diesem Tag hätte der große Theologe Joseph Ratzinger eine große Rede halten müssen. Er sagte es ja selber, dass er als Sohn des deutschen Volkes die Verantwortung spürte, aber er hielt eine schlechte Rede. Denn was Benedikt XVI . in Auschwitz sagte, stimmt nicht, es ist historisch einfach nicht wahr. Es ist nicht wahr, dass »eine Schar von Verbrechern« Schuld an dem trug, was zu Auschwitz führte. Es ist auch nicht wahr, dass das deutsche Volk »zum Instrument der Wut des Zerstörens« dieser Schar von Verbrechern missbraucht wurde. Es waren gute Katholiken, die Juden verraten und ins Gas geschickt haben. Die katholische Kirche hat im Nationalsozialismus den Tod von Millionen Mitbürgern hingenommen – das ist wahr! An dem, was in Auschwitz geschehen ist, trägt auch die jahrhundertelange antisemitische Tradition der Kirche eine gehörige Mitschuld. Wenn es je einen Papst gab, der die Pflicht gehabt hätte, das in Auschwitz auszusprechen, dann war das der Papst aus Deutschland. Aber alles einer »Schar von Verbrechern« in die Schuhe zu schieben, das reicht einfach nicht. Papst Franziskus wird in den Beziehungen zu Israel neu anfangen müssen, nicht nur wegen dieser Rede in Auschwitz, sondern auch weil sie nur der Auftakt einer ganzen Reihe von Pannen war.
Der politische Tiefpunkt Papst Benedikts XVI . ist im Januar 2009 der Tag, an dem Israel mit dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen zum Vatikan drohte, nachdem er einen Holocaust-Leugner rehabilitiert und dessen Exkommunikation aufgehoben hatte. Israel nahm dem Papst aus Deutschland einfach nicht ab, dass er nicht wusste, dass Bischof Richard Williams im Visier der kanadischen Justiz stand, weil er kategorisch den Holocaust in öffentlichen Ansprachen geleugnet hatte. Einem Papst aus Deutschland durfte das nicht passieren. Auch die Reise nach Israel im Mai 2009, vor allem Benedikts Rede in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem, sollte als Enttäuschung gewertet werden. In Gestalt von Papst Franziskus wird der Vatikan jetzt neu damit beginnen müssen, eine Brücke zu dem Land zu bauen, auf dessen Territorium der Jude Jesus von Nazareth gelebt und gewirkt hat.
Doch eines nach dem anderen: Noch ist Jorge Mario Bergoglio ein einfacher Pfarrer in Buenos Aires.
Das Kreuz des Franziskus – irgendwas bleibt immer hängen
Jorge Mario Bergoglio lehrt in den 70er-Jahren als Professor für Philosophie und Theologie an der Universität San Miguel. Er hat keine Ahnung, dass einer seiner Studenten Leonardo Sandri ist. Der 1943 in Buenos Aires geborene Theologe Sandri hatte den Weg zur Priesterweihe weitaus schneller absolviert als Bergoglio, er wurde bereits 1967 zum Priester geweiht. Nach einer glänzenden Karriere im Staatssekretariat wurde Sandri am 24. November 2007 von Papst Benedikt XVI . in das Kardinalskollegium aufgenommen. Sie haben völlig unterschiedliche Karrieren hinter sich: Sandri ist ein profunder Kenner der Kurie und des Staatssekretariats, Bergoglio kennt beides kaum. Sandri wollte sich in Rom im Herzen der Weltkirche bewähren, Bergoglio zog es immer vor, in Argentinien zu bleiben. Und dann stand plötzlich in der Sixtinischen Kapelle in Rom der Außenseiter Bergoglio als Papst seinem Landsmann Sandri gegenüber, der von nun an seinen Weisungen zu folgen hat.
Im Jahr 1973 macht Jorge Bergoglio in bescheidenem Ausmaß Karriere, er steigt zum Provinzial der Jesuiten in Argentinien auf. Er wird den Orden bis zum Jahr 1979 so gründlich reformieren, dass ihn die Jesuiten danach abservieren. Zwischen 1980 und 1986 ist Bergoglio Rektor der Theologischen Fakultät in San Miguel, damit scheint seine Karriere mit dem beschaulichen Leben eines Theologieprofessors in der argentinischen Provinz zu enden. Doch in den späten 80er-Jahren entdeckt ihn Antonio Kardinal Quarracino und lässt ihn am 20. Mai 1992 zum Weihbischof von Buenos Aires erheben. Jetzt kann der 56-Jährige noch einmal so richtig loslegen. Während sein Chef,
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