Französische Nächte: Erotischer Roman (German Edition)
erfahren, dass Michelle fort war.
Michelle war in diesem Haus glücklich gewesen und verließ es nur ungern. Aber Oruelas einzige Hoffnung war, dass sich Jean Raffoler dazu bewegen ließ, in dieses Haus zu stürmen und sie zu retten.
Ein Regenschauer erfasste das Land und ging auf die dunkle Straße hernieder, während sie weiterging. Die knorrigen Stämme alter Bäume säumten ihren Weg. Seltsame Formen erschienen, als sich die Schatten veränderten und der Mond aufging. Doch nichts davon machte Michelle Angst. Sie fühlte sich im Einklang mit der Straße und der Dunkelheit. Sie fürchtete sich vielmehr vor dem Bürgermeister und dem, was er tun konnte.
Diese Angst bewegte sich dazu, Roberts Hand zu nehmen, diese Angst und vielleicht auch die Grausamkeit, deren Zeuge sie gewesen war und die sie so aufgewühlt hatte, dass sie auf schmerzhafte Weise erregt war, als er sie in der Nähe des Stadtrands mitten auf der Straße leidenschaftlich küsste. Wäre der Zug nicht in wenigen Minuten abgefahren, dann hätten sie sich in dem glänzenden, dunklen Wald geliebt.
Als der Diener auf sie zukam, stellte sie sich gerade vor, wie das gewesen wäre …
»Möchten Sie hereinkommen, Mademoiselle?«, fragte der Mann. »Monsieur Raffoler hat mich angewiesen, Sie in seine Gemächer zu führen.«
Michelle strich ihren Rock glatt. Sie fühlte sich ein wenig wie eine Landstreicherin, nachdem sie die halbe Nacht auf dem Bahnhof von Le Negresse verbracht und Verehrer, die sich den Abend lang betrunken hatten, abgewehrt hatte. Diese Männer! Soweit es Michelle betraf, konnte man den Großteil davon vergessen.
Während sie dem Diener ins Haus folgte, stellte sie fest, dass es ihrem Geschmack entsprach. Die Raffolers waren eine der reichsten Familien von Biarritz, und ihr gefiel, was sie sah.
Jean trug noch immer den rubinroten Morgenmantel, hatte sich Michelle zuliebe jedoch eine Hose angezogen und den Gürtel zugebunden. Er stand neben dem hohen Kamin in seiner Suite und hörte sich ihre Geschichte an. »Großer Gott!«, rief er immer wieder aus. Nach und nach dämmerte es Michelle, dass er ihr kein Wort glaubte.
»Bist du dir da absolut sicher?«, fragte er mehr als einmal, und Michelle wurde immer wütender.
»Natürlich bin ich mir sicher«, erwiderte sie und erhob sich aus dem Sessel, den er ihr zugewiesen hatte. »Glauben Sie, ich hätte die Nacht am Bahnhof verbracht, wenn es nicht so wäre?«
Jean sah mit an, wie sich ihre Brust hob und senkte, so aufgebracht war sie. Er hatte Michelle schon immer gemocht. Dieser Hintern! So einen sah man nur sehr selten. Aber ihre Augen blitzten, und das machte ihm Angst. »In Ordnung«, entgegnete er. »Beruhige dich, Michelle, und setz dich wieder.« Er lief auf dem Teppich hin und her. »Es fällt mir nur so schrecklich schwer, das alles zu glauben. Das klingt eher wie eine Geschichte aus einem dieser schaurigen Romane. Als hätte sich etwas Billiges auf einmal in meine Welt eingeschlichen …« Er blieb vor dem Fenster stehen und sah in den Garten hinaus.
Erneut stand Michelle auf, entschlossen, dieses Mal nicht klein beizugeben. »Wenn es Ihnen zu viele Umstände bereitet, dann werde ich Dr. Simenon aufsuchen. Vielleicht ist er ja Gentleman genug, um Oruela zu helfen, bevor es zu spät ist. Begreifen Sie denn nicht, dass sie sie durchaus schon in diesem Moment wegbringen könnten?« Himmel! Oruela mochte Jean ja für großartig halten, aber er benahm sich wie ein Narr! Gut, er sah aus wie ein Mann, wie er da in seinem Morgenmantel auf und ab ging, aber was konnte er so schon bewirken?
»Sie hat mir nicht erzählt, dass die Beziehung zwischen ihr und ihrer Mutter nicht in Ordnung ist«, erklärte Jean.
»Oh, die ist ganz und gar nicht in Ordnung«, bestätigte Michelle. »Aber wir haben jetzt wirklich keine Zeit, uns länger damit zu beschäftigen.«
»Und der Bürgermeister ist an einem Komplott beteiligt, um sie einsperren zu lassen? Er ist ein Freund meines Vaters, und ich …«
Michelle ging zur Tür. Sie musste sich wohl oder übel etwas anderes überlegen. Doch noch bevor sie die Tür erreichte, klopfte es und ein Diener trat ein.
»Telefon, Monsieur, für die junge Dame«, sagte der Mann und zwinkerte Michelle zu.
Sie nahm den Hörer. Es war Robert, der gerade erst die Gelegenheit bekommen hatte, sie anzurufen. Man hatte Oruela vor mehr als einer Stunde weggebracht.
Diese Nachricht bewirkte endlich, dass Jean zur Tat schritt, und er lief in sein Ankleidezimmer. Bevor
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