Franzosenliebchen
willze denn von
Wilfried?«
Treppmann wusste, dass
Soltau zu den Leuten um Saborski gehörte, die sich im
Hinterzimmer des Restaurants Karl der Große trafen.
Möglicherweise war er sogar Mitglied einer der aktiven
Widerstandsgruppen. Kam er vielleicht über Soltau an eine
Waffe heran? Aber er musste vorsichtig sein. Deswegen antwortete er
ausweichend: »Nichts Besonderes. Ich wollte ihn um seine
Hilfe bitten.«
»Dir hilft doch
jeder. Nach dem, wat du und deine Familie durchgemacht habt.«
Er klopfte Treppmann jovial auf die Schulter. »Gilt auch
für mich.«
»Danke. Trinkst
du einen mit?«
»Gern. Abba ich
geb einen aus. So weit kommt dat noch, dat ich mich von dir
einladen lass. Halt du deine Kröten zusammen. War bestimmt
allet nich billig. Die Beerdigung und
so.«
Drei Bier und drei
Korn später kam Treppmann langsam auf sein Anliegen zu
sprechen. »Stehst du noch zu deinem
Angebot?«
»Weichet
Angebot?«, lallte Soltau und stützte den Kopf in eine
Hand.
»Du hast mir
deine Hilfe zugesagt.«
Soltau richtete sich
auf. »Worauf du dich verlassen kannst. Wat kann ich für
dich tun?«
Treppmann beugte sich
zu Soltau hin und flüsterte in dessen Ohr: »Wenn du eine
Waffe bräuchtest, wen würdest du
fragen?«
»Ich brauch
keinen fragen.«
Treppmann seufzte.
Soltau war zu betrunken, um die Anspielung zu verstehen. Er
würde direkter werden müssen. »Ich benötige
eine Waffe.«
»Wat willze denn
mit ’ner Knarre?«, stieß Soltau
hervor.
»Mir den
Franzosen schnappen, der meine Agnes auf dem Gewissen
hat.«
Kalle Soltau machte
den Mund auf und wieder zu. »Dat vergisste am besten sofort
wieder. Ein freundschaftlicher Rat von mir: Halte dich da raus. Dat
is zu gefährlich. Eine Tote inner Familie
reicht.«
»Du hilfst mir
also nicht?«
Soltau schüttelte
heftig den Kopf. »Nee. So war dat mit der Hilfe nich
gemeint.«
»Aber du hast
…«
»Lasset bleiben,
Hermann. Glaub mir, is besser so. Willi, zahlen.« Kalle
Soltau erhob sich von seinem Hocker.
15
Montag, 19. Februar
1923
Diese Nacht hatte er
wieder schlecht geschlafen und unter dem Traum gelitten. Immer
wieder wurde er durch ihn an die grausamen Ereignisse erinnert, die
er vor etwas mehr als fünf Jahren durchleben
musste.
Stets war er im
Grenadiergraben, in Sichtweite des französischen Feindes. Wie
oft war er damals diesen Weg entlanggehastet, der eigentlich kein
Graben mehr war, sondern nur noch eine Mulde, zernarbt von
zahllosen Trichtern. Es gab kaum Schutz vor dem feindlichen Feuer
und man lief über Leichen hinweg vom zerstörten Ort Ornes
hinauf zur Vaux-Kreuz-Höhe, in die vorderste deutsche
Stellung. Zahlreiche seiner Kameraden waren auf dem Weg nach vorn
gefallen, noch bevor sie ihr eigentliches Ziel erreicht
hatten.
Diese Erlebnisse
konnte Goldstein einfach nicht vergessen. Sie schoben sich in sein
Bewusstsein, verdrängten jeden anderen Gedanken. An die
kleinsten Details erinnerte er sich. So, als ob es gestern gewesen
wäre.
Es war ein
kühler, klarer Morgen Ende September 1917 gewesen, als das
Regiment zum Sturmangriff antrat. Nach zweitägigem Dauerregen
ließ der blaue Himmel auf einen sonnigen Tag hoffen. Immer
noch war der Boden auf geweicht und morastig.
Sie lagen erst seit
zwei Wochen in der Knochenmühle vor Verdun. Hauptmann
Schreiber befehligte die Kompanie, in der er diente. Goldstein
selbst war Leutnant in diesem Abschnitt. Um Punkt sechs Uhr
sammelten sich die Soldaten vor den Leitern, die aus den
Unterständen nach oben führten, direkt hinein in das
Maschinengewehrfeuer der Franzosen. Hauptmann Schreiber stieg als
Erster hoch, die Trillerpfeife baumelte um seinen Hals, die Pistole
hielt er in der Rechten. »Zum Angriff!«, rief er.
»Folgt mir. Zum Angriff!«
Fast die Hälfte
der Kompanie fiel dem feindlichen Sperrfeuer zum Opfer. Die
französischen Granaten rissen tiefe Löcher in das
Terrain. Viele Soldaten stürzten getroffen zurück in den
Graben, kaum dass sie die Leiter erklommen hatten. Die
Nachkommenden drängten nach vorn, angetrieben von den
Offizieren hinter ihnen. Die Soldaten traten auf Tote und
Sterbende, drückten deren Körper in den Schlamm des
Unterstandes, ignorierten das Stöhnen und Schreien, schoben
sich die Leitern hoch und denjenigen von ihnen, die wie durch ein
Wunder bis jetzt überlebt hatten, bot sich ein unwirklicher
Anblick: Zwischen den explodierenden Granaten, den gefallenen
Grenadieren, den gebückt dem ersten Drahtverhau
entgegenstürmenden Soldaten stand
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