Franzosenliebchen
um
Unterstützung bitten konnte, vor allem nicht bei einem so
sensiblen Vorgang wie dem der Aufnahme eines Kredites. Eine
unachtsame Bemerkung oder eine unter Umständen sogar gezielte
Indiskretion der ins Vertrauen gezogenen Person und die Reputation
des Kaufhauses Schafenbrinck war beschädigt. Das durfte sie
nicht riskieren.
Vielleicht sollte sie
versuchen, eine erneute Besuchserlaubnis zu bekommen, um sich mit
ihrem Mann zu beraten? Andererseits, hatte ihr der verantwortliche
Offizier nicht deutlich zu verstehen gegeben, dass ein derartiger
Antrag frühestens in zwei, drei Wochen entschieden werden
würde? Bei einem Menschen, der verdächtigt wurde,
fünf französische Soldaten auf dem Gewissen zu haben,
konnten und wollten die französischen Behörden nicht
anders handeln, hatte der Offizier ihr gesagt.
So viel Zeit blieb ihr
nicht. Die Entscheidung müsse schnell getroffen werden, hatte
Segburg behauptet. Wer kannte sich mit Geldangelegenheiten aus?
Plötzlich fiel ihr der Finanzbeamte ein, der kürzlich
erst ihren Mann aufgesucht und über den sich Abraham so
überaus wohlwollend geäußert hatte. Und auch sein
Name war ihr präsent: Regierungsrat Wieland Trasse. Sie
würde ihn fragen. Vielleicht konnte er ihr helfen.
33
Donnerstag, 1.
März 1923
Die letzten drei Tage
hatte Goldstein seine Bemühungen verstärkt, die
Metallwaren anzupreisen und dabei Zeugen für die Tatnacht zu
finden. Weiterhin vergeblich. Scheinbar taugte er weder als
Handelsreisender noch als Polizist.
Gestern Nachmittag war
Marthas Bruder Ewald aufgetaucht, sichtlich überrascht,
Goldstein immer noch in Börnig vorzufinden. Der Polizist hatte
fadenscheinig behauptet, dass er zwar von der Schuld der beiden
Franzosen überzeugt sei, aber die Indizienkette nicht für
wirklich beweisfähig halte. Die Unschuldsvermutung, so
argumentierte Goldstein, gelte auch für Franzosen. Mit seinem
Berufsethos sei es nicht zu vereinbaren, Menschen ohne
zweifelsfreie Beweise zu Schuldigen zu erklären. Deshalb
müsse er weiter ermitteln.
Wiedemann war sichtbar
erstaunt, hatte aber nur lakonisch gemeint: »Sie müssen
es ja wissen.« Nachdem er einige Zeit auf seine Schwester
gewartet hatte, war er schließlich wieder
gegangen.
Am Abend hatte Martha
berichtet, dass es Lisbeth Treppmann endlich gelungen war, Kontakt
zu Julian Solle herzustellen. Anscheinend hatte der Soldat einige
Tage nicht am Bahnhof in Börnig Dienst geschoben. Solle sei
bereit, sich mit Goldstein zu treffen. Allerdings am besten noch
heute, da Solle die Nachricht erhalten habe, jeden Moment nach
Frankreich zurückbeordert werden zu können.
Das war der Grund,
warum Goldstein nun schon seit einer halben Stunde um die
Kreuzkirche strich. Für zwölf Uhr hatten sie sich
verabredet. Dem Deutschen war klar, dass er ein nicht unerhebliches
Risiko einging. Sollten sich Martha und Lisbeth irren und Solle war
doch der Mörder Agnes Treppmanns, war nicht
auszuschließen, dass gleich die französische
Militärpolizei aufmarschierte. Natürlich hatte er sich
vorsichtshalber in der Kirche nach möglichen Fluchtwegen
umgesehen. Es gab mehrere Seitenpforten, aber die waren
verschlossen gewesen. Damit wurde die Kirche zur Falle. Goldstein
wurde immer nervöser.
Fünf Minuten vor
der vereinbarten Zeit traf Solle vor der Kirche ein. Er trug Zivil.
Prüfend sah er sich um, öffnete das schwere
Eingangsportal und verschwand im Inneren des
Gebäudes.
Goldstein beobachtete
noch einige Zeit die Umgebung der Kirche, konnte aber nichts
Verdächtiges ausmachen. Er atmete tief durch und verließ
seinen Posten.
Julian Solle hatte in
der dritten Bankreihe vor dem Altar Platz genommen und wandte
Goldstein den Rücken zu. Als die Tür hinter dem Deutschen
ins Schloss fiel, drehte sich der Franzose um.
Langsam näherte
sich Goldstein. Er setzte sich schräg hinter Solle in die
nächste Reihe. Außer den beiden hielt sich niemand in
der Kirche auf. Trotzdem senkte Goldstein die Stimme bis zum
Flüstern, als er auf Französisch guten Tag
sagte.
Auch Solle sprach
leise: »Der Mann mit den Spezialschrauben. Das dachte ich mir
bereits«, sagte er mit einem Lächeln. »Sie wissen,
dass Sie von unseren Diensten gesucht werden?«
»Ich habe es
vermutet«, antwortete der Polizist.
»Einen Tag
nachdem wir uns in dem Lokal getroffen haben, erhielten wir die
Information, dass nach einem gut Französisch sprechenden Spion
gefahndet wird, der sich möglicherweise in Herne herumtreibe.
Ich nehme an, unser Treffen in der
Weitere Kostenlose Bücher