Franzosenliebchen
Abraham
Schafenbrinck nicht mehr mit.
Als die
französischen Wachsoldaten wenig später die
Zellentür öffnen wollten, mussten sie sich zunächst
mit ihrem gesamten Gewicht dagegenstemmen,
um den dahinter liegenden leblosen Körper ihres Gefangenen mit
dem Türblatt zur Seite zu schieben. Als sie die Situation dann
erfasst hatten, lief einer von ihnen los, um den Militärarzt
zu holen. Aber das war unnötig. Abraham Schafenbrinck war
bereits tot.
35
Freitag, 2. März
1923
Goldstein hörte
Stimmen, die erst sehr leise waren und dann immer lauter in sein
Bewusstsein drangen. Rasender Kopfschmerz peinigte ihn. Eine Sirene
heulte. In dem Raum hing ein strenger Geruch, der ihm vertraut
vorkam. Er versuchte, sich aufzurichten und die Augen zu
öffnen. Es dauerte einen Moment, bis er realisierte, dass
seine Augen verbunden waren und er, an Händen und
Füßen gefesselt, auf dem Rücken lag.
»Unser Freund
scheint aufgewacht zu sein«, hörte er jemanden aus
weiter Ferne sagen.
Schritte näherten
sich. Unsanft wurde er an den Armen gepackt und hochgezogen. Seine
Füße schleiften über den Boden, bis er auf einen
Stuhl gedrückt wurde.
»Einfach sitzen
bleiben«, befahl eine weitere Stimme, jetzt schon
deutlicher.
Mit einem Ruck wurde
Goldstein die Binde vom Kopf gerissen. Von dem plötzlichen
Lichteinfall geblendet, hatte der Polizist Mühe, sich zu
orientieren. Als Erstes konnte er die schemenhaften Umrisse zweier
Gestalten, die ihm gegenüberstanden, ausmachen. Dann erkannte
er rechts von seinem Platz einzelne Holzverschläge.
Pferdeboxen, schoss es ihm durch den Kopf. Genau. Er befand sich in
einem Stall. Das also war der Grund für den strengen
Geruch.
»Wer bist
du?«, fragte der größere der beiden
Umrisse.
Goldstein stierte
krampfhaft in die Richtung, aus der die Frage gekommen war. Die
Gesichtszüge der vor ihm Stehenden waren nur schwer
auszumachen. Die beiden Männer standen mit dem Rücken zu
einem Fenster, durch dessen halb blindes Glas die tief stehende
Sonne hereinschien.
»Mein Name ist
Peter Goldstein«, antwortete er krächzend. Sem Mund war
trocken wie Staub. »Könnte ich etwas zu trinken
haben?«
Der Größere
der beiden machte eine Kopfbewegung nach links. »Gib ihm
was.«
In Goldsteins
Gesichtsfeld erschien ein dritter Mann und setzte ihm eine Flasche
an den Mund. Das Wasser war warm und schmeckte abgestanden,
trotzdem trank Goldstein mit gierigen Schlucken.
»Das
reicht«, kam die Order des Großen. »Also, wer
bist du?«
»Peter
Goldstein. Das sagte ich doch bereits.«
»Er versteht es
nicht. Erklär es ihm, Adolf.«
Ein Faustschlag traf
Goldstein am rechten Mundwinkel. Sein Kopf wurde zur Seite
geschleudert. Er stöhnte auf.
»Vielleicht
verstehst du jetzt«, sagte der Wortführer. »Wir
wissen, wie du heißt.« Er machte eine kleine Pause.
»Zumindest kennen wir das, was in deinen Papieren steht. Uns
interessiert aber, wer du tatsächlich bist und was du bei uns
verloren hast.«
»Was in meinem
Ausweis steht, stimmt. Ich bin Handelsvertreter für
Metallwaren, spezialisiert auf Schrauben.« Das Sprechen tat
Goldstein weh. Sein Kiefer schmerzte bei jeder Bewegung.
»Handelsvertreter für
Schrauben, was? Es ist uns nicht verborgen geblieben, dass du mit
deinem Koffer durch die Gegend ziehst.« Der Mann machte einen
Schritt auf ihn zu und beugte sich vor, sodass Goldstein nun die
Gesichtszüge gut erkennen konnte. »Was hast du denn
genau im Angebot?«
»Schrauben. Das
sagte ich doch bereits.«
»Ja, das
stimmt.« Der Mann richtete sich wieder auf. »Schrauben
braucht man schließlich immer, nicht wahr?« Seine
beiden Partner nickten heftig. »Bestimmt hast du auch
Schrauben im Angebot, die ich dringend benötige. Führst
du Schlossschrauben in der Größe M70 x
0,1?«
Goldsteins Gedanken
rasten. M70 x 0,1? Er erinnerte sich, dass diese Angabe etwas mit
der Größe und der Steigung einer Schraube zu tun hatte.
Aber hatte er so etwas in seinem Musterkoffer? Er musste raten.
»Natürlich. Wie viele brauchst du?«
Der Große
lächelte und gab dem Mann an Goldsteins Seite ein Zeichen.
Wieder traf ihn ein schwerer Schlag, dieses Mal von
links.
»Hör auf,
uns anzulügen. Es gibt keine handelsüblichen Schrauben
dieser Art. Jeder, der sich auch nur ein wenig mit dieser Materie
beschäftigt hat, weiß das. Ich frage dich zum letzten
Mal: Wer bist du?«
Goldstein fühlte,
wie Blut von seiner aufgeplatzten Unterlippe am Kinn hinunterrann.
Vergeblich versuchte er, mit
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