Franzosenliebchen
schwarzen Rock und eine
ebenfalls schwarze Bluse. Natürlich, sie war in
Trauer.
»Sie sind also
der Polizist«, sagte Lisbeth Treppmann, nachdem sie Goldstein
die Hand gegeben hatte. »Ich habe Sie schon ein paarmal auf
der Straße gesehen. Konnten Sie mit Julian
sprechen?«
»Ja.«
»Martha hat mir
zugesagt, dass Sie meinen Eltern nichts über Agnes und Julian
erzählen werden. Das stimmt doch?« Sie sah ihn bittend
an.
Er nickte: »Ich
würde mich gerne etwas länger mit dir unterhalten. Ich
darf dich doch duzen?«
Lisbeth nickte.
»Warum wollen Sie mit mir sprechen?«
»Ich möchte
mehr über deine Schwester erfahren. Welche Freunde und
Bekannte sie hatte, womit sie sich die Zeit vertrieb, halt alles,
was mir helfen kann, ihren Mörder zu fangen.«
Martha, die den beiden
bisher den Rücken zugekehrt und schweigend Kaffee
aufgebrüht hatte, fuhr herum. »Aber nicht heute. Nicht
an meinem Geburtstag. Und nicht in meinem Haus!«
Lisbeth zuckte
zusammen. Martha trat zu ihr und strich ihr tröstend über
das Haar. »Entschuldige. Ich habe das nicht so
gemeint.« Aber der Blick, den sie Goldstein zuwarf, strafte
ihre Worte Lügen. Sie ergriff die Kuchenplatte und
verließ die Küche.
Kopfschüttelnd
sah ihr Goldstein nach. Was sollte dieser Ausbruch? Es war doch sie
gewesen, die ihm erst die Möglichkeit eröffnet hatte, von
dem Wissen der Nachbarstochter zu profitieren. Warum dann jetzt
diese Reaktion?
Lisbeth wartete, bis
Martha die Tür hinter sich geschlossen hatte. Dann stieß
sie hastig hervor: »Agnes hat ein Tagebuch geführt.
Wollen Sie es lesen?«
Goldstein war wie
elektrisiert. »Natürlich.«
»Ich werde es
Ihnen zeigen.« Sie hielt den Zeigefinger vor den Mund.
»Aber Sie dürfen auch davon nichts verraten.
Versprochen?«
»Versprochen.
Wann kann ich es sehen?«
»Wir treffen uns
Dienstag. Am Nachmittag.«
»Und
wo?«
»In der alten
Ruine.«
Martha kehrte in die
Küche zurück, warf Goldstein einen misstrauischen Blick
zu. »Geht in die gute Stube zu den anderen. Ihr solltet hier
nicht allein sein. Das gibt nur Gerede.«
Wortlos kam Goldstein
der Aufforderung nach. Im Wohnzimmer hatten sich um den Tisch
einige Personen versammelt, die Goldstein noch nicht kannte. Auch
den Raum kannte er nicht, die ›gute Stube‹ wurde nur
sonntags oder zu besonderen Anlässen benutzt. Möbliert
war der Raum mit einer mit grünem Samt bezogenen
Polstergarnitur, die wahrscheinlich noch von Marthas Eltern
stammte. Ein großes Kissen mit Spitzenbesatz war so sorgsam
drapiert worden, dass Goldstein vermutete, dass es verschlissene
Stellen des Sofabezuges verdecken sollte. An der Wand stand eine
Anrichte aus Kirschholz mit einem kunstvoll gedrechselten
Aufsatz.
Eine Frau mittleren
Alters sprach Goldstein sofort an und schlug mit der rechten Hand
aufmunternd auf die Polsterfläche des freien Stuhls neben ihr.
»Kommen Se ma an meine beste Seite. Gesehen hab ich Sie ja
schon. Von Weitem. Gezz will ich Sie abba ma ’n bisken besser
kennenlernen.«
Folgsam nahm Goldstein
Platz.
Ohne Umschweife
plapperte die Frau weiter. »Wissen Se, dat hier is ’n
Dorf. Die Hälfte der Leute sind miteinander verwandt.«
Sie warf Martha einen nicht zu deutenden Blick zu. »Un die
andere Hälfte will dat noch werden, wenn se nich gerade
miteinander verfeindet sind, verstehn Se? Da bleibt nix geheim. Sie
nich un auch die anderen nich. Eben nix. Hier guckt em jeder den
anderen inne Fitzebohnen.«
»Fitzebohnen?«, echote
Goldstein verwirrt.
»Jau.
Fitzebohnen. Innen Kochtopp, wenn Se verstehn, wat ich meine. Ich
könnt Ihn Sachen erzählen, dat würden Se nich
glauben. Aber ich sach nix. Is ja besser so. Aber wenn ich wollte,
ich könnt …«
»Ilse!«
Martha war aufgestanden und blickte ihre Nachbarin streng an.
»Ich glaube nicht, dass dein Gerede hier irgendjemanden
interessiert.«
Ilse zuckte nur mit
den Schultern. Dann raunte sie Goldstein zu: »Dat wolln wer
doch erst ma sehen, oder?«
40
Montag, 5. März
1923
Obwohl ihr Ehegatte
noch nicht begraben war, duldete die wirtschaftliche Lage des
Kaufhauses keinen Aufschub in der Angelegenheit. Der Buchhalter
Thomas Segburg war am Samstag erneut bei Ernestine Schafenbrinck
vorstellig geworden; zum einen, um zu kondolieren, zum anderen aber
auch, um zum wiederholten Mal sein Anliegen vorzutragen: Die
Eigenkapitaldecke des Unternehmens müsse unverzüglich
verstärkt werden, so Segburg, um die Renovierungskosten des
geplanten Hauses in Recklinghausen abzusichern
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