Franzosenliebchen
Beteiligung an dem Sprengstoffanschlag
verdängen ließ. Er würde nichts gestehen. Er kannte
keinen Saborski, keine Widerstandsgruppe, wusste erst recht nicht,
mit Sprengstoff umzugehen. Er hatte an dem fraglichen Abend
geschlafen, war nicht ausgegangen und somit auch nie auch nur in
der Nähe des Tatorts
gewesen.
Zu seiner
Verblüffung aber war nicht das Attentat, sondern das Kleben
von Plakaten Gegenstand des Verhörs. Es ging also nicht um
seinen Kopf. Von Minute zu Minute wurde Soltau ruhiger,
beantwortete alle Fragen zu seiner Person gelassen und verneinte
jedwede Wahrnehmung einer Klebeaktion in seiner Nachbarstadt so
überzeugend, dass er nach nur zwanzig Minuten wieder auf dem
Schulhof stand und seiner Wege gehen durfte.
Erleichtert entschied
er sich, seine Freiheit gebührend zu feiern.
Nach einem
entsprechend ausgiebigen Frühschoppen fand er nur mit
Mühe die Straßenbahn, die ihn zu seiner Wohnung
zurückbrachte. Der Schlosser wohnte am östlichen Rand von
Sodingen, nur einen Steinwurf vom Kaiser-Wilhelm-Turm entfernt, der
auf dem Beimberg stand.
Soltau schaffte es
noch, die Schuhe auszuziehen, dann schlug er lang auf das Bett.
Sekunden später war er fest eingeschlafen.
Heftiges Klopfen an
der Tür weckte ihn. »Ja, is ja gut. Komm ja
schon«, brummte er. Vor sich hin schimpfend, schlurfte er zur
Eingangstür. Als er öffnete, hielt ihm ein Unbekannter
eine Polizeimarke vor die Nase.
»Herr Karl
Soltau?«, fragte der Mann. Als der bejahte, fuhr der Polizist
fort: »Bitte kommen Sie mit. Wir benötigen einige
Auskünfte von Ihnen.«
»Aber ich hab
doch heute Vormittag schon alles gesacht, wat ich
weiß«, entgegnete Soltau, immer noch
verschlafen.
Ungerührt
antwortete sein Gegenüber: »Davon weiß ich nichts.
Ich habe Order, Sie zum Verhör zu begleiten. Bitte ziehen Sie
sich an.«
Widerwillig folgte der
Schlosser der Aufforderung, schlüpfte in seine Schuhe und
streifte die Jacke über. Dann begleitete er den Unbekannten
nach draußen.
»Der Wagen steht
dahinten an der Ecke«, erklärte der Polizist und zeigte
Richtung Beimberg.
Brav trottete Soltau
neben dem Mann her. Gerade als er begann, sich darüber zu
wundern, dass der Polizist den Wagen nicht direkt vor der Tür
abgestellt hatte, wurde er gepackt und in einen Hausflur
gedrängt. Ehe Soltau protestieren konnte, sah er sich von zwei
weiteren Personen umringt. Kräftige Hände zogen seine
Arme nach hinten.
Aus dem Halbdunkel des
Hausflures trat Wilfried Saborski hervor. »Du bist nicht nur
ein Feigling, sondern auch ein Verräter«, stellte er
fest.
Soltau wand sich unter
dem festen Griff seiner Bewacher. »Nix hab ich gesacht. Dat
kannze mir glauben. Kein Wort ham die Franzosen von mir
erfahren.«
»Und warum haben
Sie dich dann gehen lassen, während die anderen Kameraden
weiter in Ketten liegen?«
»Wat weiß
ich denn. Ich jedenfalls hab nich gequatscht«, versicherte
Soltau erneut.
Wilfried Saborski
wandte sich an die anderen Männer. »Hört euch das
gut an. So winselt ein Vaterlandsverräter.« Wieder an
Soltau gerichtet, verkündete er: »Du bist verurteilt
worden.«
Kalle Soltau wurde
aschfahl. »Wer hat mich verurteilt?«
»Das deutsche
Volk«, antwortete Saborski trocken. »Und die Zentrale
Nord hat mich mit der Vollstreckung des Urteils beauftragt.«
Er griff in seine ausgebeulte Manteltasche.
Soltau wollte
aufschreien, brachte aber keinen Laut heraus. Ungerührt zog
Wilfried Saborski eine Marinepistole hervor und drückte sie an
Soltaus Schläfe.
39
Sonntag, 4. März
1923
Obwohl an dem
Kaninchenbraten nichts auszusetzen war, wollte er Goldstein nicht
recht schmecken. Missmutig stocherte er auf dem Teller
herum.
Schließlich
schob er ihn zur Seite. »Es tut mir leid. Der Braten ist
ausgezeichnet. Aber ich bin satt. Ich kann heute nicht so viel
essen«, behauptete er.
Quasi im letzten
Moment hatte er heute Morgen in einer Sodinger Gärtnerei einen
Strauß Krokusse erstanden. Diesen hatte er Martha verlegen in
die Hand gedrückt, zusammen mit einem Briefumschlag, in dem
ein Dollarschein steckte. Ihm war es vor einigen Tagen doch noch
gelungen, das Geld zu wechseln. Martha hatte sich bedankt und die
Blumen bewundert, den Schein aber mit keiner Silbe gewürdigt.
Goldstein war verunsichert. War das Geschenk zu unpersönlich?
Andererseits kannte er Martha kaum. Und bei sparsamer Lebensweise
konnte sie mit dem Gegenwert eines Dollars fast eine Woche ihren
Unterhalt bestreiten. Was also sollte falsch sein an
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