Franzosenliebchen
Fabrik momentan
nicht allzu gut läuft.«
»Ja, sicher.
Und?«
»Ich musste mir
neue Absatzmärkte suchen.«
»Vernünftig.«
»Und da bin ich
mit den Franzosen ins Geschäft
gekommen.«
Trasse stellte das
Glas so heftig auf den Eichentisch, dass Cognac überschwappte.
»Du machst Geschäfte mit den Besatzern? Du, ein
deutscher Industrieller, arbeitest mit den Feinden unseres Volkes
zusammen?«, fragte er entgeistert.
Kleinlaut antwortete
Königsgruber: »Was sollte ich denn machen? Mir steht das
Wasser bis zum Hals.«
»Warum
erzählst du mir das jetzt?«, blaffte ihn Trasse
an.
»Ich
benötige deine Hilfe. Irgendjemand ist dahintergekommen, dass
ich an die französischen Militärbehörden Töpfe,
Pfannen und andere Metallwaren geliefert habe.« Er ging zu
einem Sekretär, öffnete eine der Schubladen und zog ein
Stück Papier hervor. »Dieses Schreiben lag gestern in
meinem Briefkasten. Anonym, versteht sich.« Laut las er vor:
»Wer mit den Besatzern paktiert, ist ein
Vaterlandsverräter. Und Vaterlandsverräter straft das
deutsche Volk. Sie verdienen nur eines: den Tod. Unterschrieben ist
der Zettel mit Überwachungsausschuss zur Wahrung der deutschen
Würde, Ortsgruppe Recklinghausen.«
»Und inwiefern
sollte ich dir in dieser Sache helfen
können?«
»Du
könntest die Kerle zurückbeordern.«
»Wie kommst du
darauf, dass ich das könnte?«
»Na hör
mal. Das pfeifen doch die Spatzen von den Dächern. Bei dir
laufen alle Fäden zusammen.«
»Du solltest in
Erwägung ziehen, dass du dich irrst. Aber selbst wenn es so
wäre, wie du sagst, dürfte es nicht so einfach sein, die
Feme von deiner Unschuld zu überzeugen. Schließlich hast
du mir gegenüber ja gerade den erhobenen Vorwurf als richtig
bestätigt.«
»Aber ich bin
doch dein Freund«, flehte Königsgruber. »Du kannst
mich doch nicht im Stich lassen.«
»Wer sagt denn,
dass ich das tue?« Trasse griff zum
Cognacschwenker.
»Du hilfst mir
also?« Ein Hoffnungsschimmer überzog das Gesicht des
Hausherrn.
»Wenn du auch
mir zur Seite stehst, natürlich.«
»Ich tue alles,
was du willst.«
Trasse lächelte.
»Mein Anteil an deiner Firma steigt auf dreißig
Prozent. Außerdem trittst du in die NSDAP ein und spendest
jedes Jahr mindestens zehntausend Reichsmark.« Und als ob er
die Gedanken Königsgrubers lesen könnte, ergänzte
er: »Inflationsbereinigt, versteht sich.«
Königsgruber
stöhnte: »Du bist ein verdammter Erpresser, weißt
du das?« Er sprang auf, lief auf und ab und setzte sich,
ruhiger geworden, schließlich wieder. »Na gut. Du hast
gewonnen. Ich akzeptiere. Was ist mit meinen
Verkäufen?«
Regierungsrat Trasse
nickte bedächtig. »Deine Geschäfte mit den
Franzosen kannst du selbstverständlich weiter betreiben. Aber
sei bitte etwas vorsichtiger. Sonst wird es auch mir schwerfallen,
deinen Hals zu retten.« Trasse jubilierte innerlich.
Zukünftig würde Königsgruber Wachs in seinen
Händen sein. Sein Plan war aufgegangen.
43
Donnerstag, 8.
März 1923
Schweißnass
wachte Goldstein auf. Seine Unterlippe und Zunge schmerzten. Er
hatte sie sich wieder im Schlaf wund gebissen. Dieser Traum! Das
Kreischen der Schrapnelle, das Heulen der Granaten. Und immer
wieder das Gesicht des sterbenden Kameraden, seine letzten
Worte.
Er versuchte, die
Erinnerung zu verdrängen, und entschloss sich, später
Ilse Suttkowski aufzusuchen.
*
»Is ja gut.
Immer langsam mit die jungen Pferde«, hörte er eine
Frauenstimme schimpfen, nachdem er zum zweiten Mal, jedoch etwas
heftiger als vorher, an die Tür geklopft hatte.
Ilse Suttkowski
öffnete, einen kleinen Jungen auf dem linken Arm.
»Ja?«, fragte sie in dem Tonfall, den Menschen
benutzen, wenn sie bei einer wichtigen Beschäftigung
gestört werden.
»Guten Morgen.
Ich würde mich gerne etwas mit Ihnen
unterhalten.«
Sie schien einen
Moment heftig nachzudenken. Dann hatte sie sich zu einer Antwort
durchgerungen. »Meinetwegen. Abba ich bin am Kochen
…«
Goldstein beeilte sich
zu versichern, dass ihn das nicht störe.
»Dann kommen Se
ma rein.« Die Frau trat einen Schritt beiseite.
Im Haus roch es
intensiv nach Kohl. Am Ende des halbdunklen Flures standen drei
weitere Kinder, wie Flöten aufgereiht und nach
Größe sortiert.
»Die
Älteste is inne Schule«, erklärte Ilse Suttkowski,
die Goldsteins Interesse bemerkte. »Und mein Mann is auf
Schicht.« Mit einer Handbewegung forderte sie ihn auf, die
Küche zu betreten. »Es is noch wat kalter Tee da, wenn
Se
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