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Fratze - Roman

Titel: Fratze - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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der Medikamente tut es weh.«
    Die abgebrochenen Enden der Drahtstreben bohren sich um den Hals nach außen, bohren sich um die Hüfte nach innen. Die scharfen Kanten und Ecken von Fischbeinstäben aus Kunststoff schneiden ins Fleisch. Die Seide scheuert, der Tüll kratzt. Stahl und Zelluloid, unsichtbar im Innern verbaut, geraten bei jedem Atemzug in Bewegung, jede noch so kleine Erschütterung strapaziert die Stoffe und Brandys Haut.
     
    Springt zu nachts, wo Brandys Vater sagte: Mach schnell. Zieh dich an. Weck deine Schwester.
    Mich.
    Nehmt eure Mäntel und steigt ins Auto. Nach hinten, sagte er.
    Und das taten wir, lange nachdem die Fernsehsender die Nationalhymne gesendet und sich abgeschaltet hatten. Ihren Sendetag beendet hatten. Nichts auf der Straße außer uns, unsere Eltern im Fahrerhaus des Pickup, wir zwei, Brandy und seine Schwester, hinten im Freien, zusammengerollt auf dem Wellblechboden der Ladefläche, das Quietschen der Blattfedern, das Brummen der Antriebswelle direkt unter uns. Die Schlaglöcher knallten unsere Kürbisköpfe heftig gegen das Blech. Wir hielten uns
krampfhaft die Hände vors Gesicht, um nicht das Sägemehl und die herumwirbelnden Reste getrockneten Düngers einzuatmen. Wir pressten die Augen zu, um das Zeug auch da nicht reinzukriegen. Wir wussten nicht, wohin die Fahrt ging, versuchten es aber herauszufinden. Einmal nach rechts, dann nach links, dann lange geradeaus, nur dass wir nicht wussten, mit welchem Tempo, dann wieder nach rechts, so scharf, dass wir auf die linke Seite rollten. Wir wussten nicht, wie lange. Man konnte nicht schlafen.
     
    Während sie, ohne sich zu bewegen, das Kleid zu Fetzen trägt, sagt Brandy: »Weißt du, ich war ziemlich auf mich allein gestellt, seit ich sechzehn war.«
    Vollgestopft mit Darvon, was eine äußerst flache Atmung bewirkt, zuckt Brandy dennoch bei jedem Atemzug zusammen. Sie sagt: »Mit fünfzehn hatte ich einen Unfall, und im Krankenhaus warf die Polizei meinem Vater vor, er hätte mich missbraucht. Die hörten gar nicht mehr auf. Ich konnte denen nichts sagen, weil es einfach nichts zu sagen gab.«
    Sie atmet ein und zuckt. »Die Gespräche, die Beratungsstunden, die therapeutischen Maßnahmen, das hörte gar nicht mehr auf.«
     
    Der Pickup wurde langsamer, sprang vom Asphalt auf Kies oder Schotter, holperte noch eine Weile weiter und blieb dann stehen.
    So arm waren wir.
    Noch immer auf der Ladefläche, nahmst du die Hände vom Gesicht, und wir standen auf. Staub und Dünger senkten sich. Brandys Vater öffnete die Heckklappe, und du erkanntest einen Feldweg neben einer hohen Mauer
aus kaputten Güterwaggons, die links und rechts aus den Gleisen gesprungen waren. Waggons waren aufgeplatzt. Plattformwagen waren umgekippt, ihre Ladung, Baumstämme oder mächtige Balken, lag verstreut herum. Kesselwagen verbeult und leck. Kippwagen waren umgestürzt und hatten ihre Kohlen oder Holzspäne in schwarzen oder goldenen Haufen abgeworfen. Der grelle Gestank von Ammoniak. Der schöne Geruch von Zedernholz. Die Sonne stand dicht unterm Horizont und schickte uns Licht aus der Unterwelt.
    Es gab dort Bauholz, das wir aufladen konnten. Kisten mit Karamellpuddingpulver in Tüten. Kisten mit Schreibmaschinenpapier, Toilettenpapier, Doppel-A-Batterien, Zahnpasta, Dosenpfirsichen, Büchern. Zerstoßene Diamanten von Sicherheitsglas lagen überall um die umgestürzten Autotransportwagen herum, in denen schrottreife Neuwagen hingen und ihre sauberen schwarzen Reifen in die Luft reckten.
     
    Brandy lüftet den Ausschnitt des Kleids und späht nach dem Estraderm-Pflaster auf ihrer einen Brust. Sie zieht die Hülle von einem anderen Pflaster ab und klebt es sich auf die andere Brust, dann macht sie den nächsten stechenden Atemzug und zuckt zusammen.
    »Nach drei Monaten war dann Schluss mit diesem ganzen Mist, mit diesen Ermittlungen wegen Kindesmissbrauchs«, sagt Brandy. »Dann eines Tages nach dem Basketballtraining werde ich draußen vor der Halle von einem Mann angesprochen. Er sagt, er sei von der Polizei, er müsse mir unter vier Augen noch ein paar Fragen stellen.«
    Brandy atmet ein, zuckt. Wieder lüftet sie den Ausschnitt,
zieht eine Methadon-Tablette zwischen ihren Brüsten hervor, beißt eine Hälfte davon ab und lässt den Rest wieder verschwinden.
    In der Ankleidekabine ist es heiß und eng mit uns beiden und diesem Hoch- und Tiefbauprojekt von einem Kleid.
    Brandy sagt: »Darvon.« Sie sagt: »Schnell, bitte.« Und schnippt mit den

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