Fratzenmond: Katinka Palfys dritter Fall (German Edition)
Strähnen ab. »Aber es ist schon korrekt«, sagte Sieglinde und drückte die Kippe aus. »Ida und ich haben uns immer gut verstanden.«
»Wissen Sie was über die verschwundenen Tagebücher?«, fragte Katinka. Sie meinte, ein Grinsen um Sieglindes Lippen schleichen zu sehen.
»Verschwunden? Was Sie nicht sagen.«
»Ida erzählte mir, dass sie die Tagebücher der letzten Monate vermisst«, spulte Katinka ihre Lügengeschichte ab.
»Unmöglich. Sie hat sie bombensicher aufbewahrt. Nicht mal die CIA hätte sie gefunden.« Mit Daumen und Zeigefinger nahm Sieglinde eine neue Zigarette auf. Sie betrachtete sie, als hielte sie ein seltenes Insekt mit einer Pinzette fest.
»Hätte sich denn die CIA dafür interessiert?«, fragte Katinka.
»Sie sind ganz schön couragiert«, sagte Sieglinde Unruh. »Wenn ich die Zeichen richtig deute, haben Sie sich schon mit der Familie Hasseberg angelegt, und Sie werden die Quittung bekommen, verlassen Sie sich drauf.«
Endlich kam der Kaffee. Katinka polkte das Töpfchen mit der Kondensmilch auf. Eigentlich mochte sie nur Kuhmilch. Das Feuerzeug klickte.
»Könnte Grit die Tagebücher genommen haben?«
»Was bezwecken Sie mit Ihrer Fragerei?«, entgegnete Sieglinde, inhalierte und spülte den Rauch mit einem großen Schluck Kaffee in den Magen. »Sehen Sie mal, es ist noch nicht mal Mittag und schon wieder dunkel. Grit hat die Tagebücher nicht.«
»Wie war das denn mit dem Unfall?«
»Traurige Sache. Eine ganz junge Frau kam dabei um. Die Wahrheit kam meiner Meinung nach nie ans Licht. Vor Gericht trumpfte ein Staranwalt auf, den Hasseberg wie das Eichel-As aus dem Ärmel gezogen hat. Grit konnte gar nichts nachgewiesen werden. Sie und Ida waren bewusstlos. Beide hatten eine Gehirnerschütterung abbekommen. Gedächtnis ausgelöscht. Bei Grit richtig schlimm. Sie wurde im Klinikum gefragt, welcher Tag sei, und sie nannte das Datum vom Tag zuvor.«
»Und Ida?«, fragte Katinka mit angehaltenem Atem.
»In etwa das Gleiche. Aber Ida war zäh. Sie erholte sich schneller. Auch seelisch.« Es zischte, als die Glut den Zigarettenfilter erreichte. Draußen begann es, heftig zu regnen. Die Tropfen klatschten angriffslustig gegen die Scheibe. Das Geräusch erinnerte Katinka komischerweise an Sommer – an Insekten, die an der Windschutzscheibe eines Autos zerbarsten. Sie wunderte sich. Hatte sich Ida tatsächlich schneller als Grit wieder aufgerappelt? Wenn sie an die Tagebücher dachte, war sie sich nicht besonders sicher.
»Manchmal gewinnt man sein Gedächtnis zurück«, fuhr Sieglinde fort. »Plötzlich kommen Bruchstücke wieder, irgendwelche Details, Wahrnehmungen, Gedanken, die mit dem verlorenen Tag zusammenhängen.«
Katinka erinnerte sich. Wissen Sie, wenn man sein Gedächtnis verliert, sei es nur für einen Tag, dann fragt man sich immer, was an jenem Tag eigentlich passierte . So in etwa hatte Ida sich ausgedrückt.
»Sie war nicht mehr dieselbe.« Sieglinde studierte die Speisekarte. »Ach, irgendwie ist mir der Appetit vergangen.« Zu Katinkas Erstaunen traten Tränen in ihre Augen. Sie war vermutlich die e rste und e inzige, die um die echte Ida Schenck weinte. Während Sieglinde Unruh um Fassung rang, beschäftigte sich Katinka mit dem runden Tropfdeckchen auf ihrer Untertasse.
»Wer war denn die junge Frau, die bei dem Unfall starb?«
»Sie hieß Sybille. Hatte einen komischen Nachnamen. Ihr Vater arbeitet bei der Polizei.«
Katinka sah hoch. Mit einem schrillen Klick schob sich das Bild von Harduin Uttenreuther zwischen sie und die Wirklichkeit. Es surrte einfach heran, wie von einem kolossalen Katapult abgeschossen. Sie sah Uttenreuthers Finger, wie er schnell und geschickt fauliges Laub von einem Grab ohne Namen klaubte.
»Vielleicht Sybille Uttenreuther?«
»Kann sein, kann auch nicht sein. Ich habe kein bemerkenswertes Namensgedächtnis, Mädel.«
Katinka speicherte das innere Bild ab. Es konnte ein Zufall sein. Sie würde es später klären. Jetzt brauchte sie all ihre Konzentration, um mehr aus Sieglinde Unruh herauszubekommen.
»Ida hatte also ihre Erinnerung an den Unfall vollkommen verloren?«, fragte sie schnell. Ihr Herz klopfte schmerzhaft gegen ihre Rippen.
»Hat sie. Soweit ich weiß. Auch der Tag selbst war wie ausgelöscht. Bei Grit kam das Gedächtnis stückweise zurück. Sie und Ida fuhren nach Coburg, wo Philipp damals noch wohnte. Es ging um die Hochzeit. Die Hassebergs planen immer sehr langfristig. Schon witzig. Ich habe niemals auch
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