Fratzenmond: Katinka Palfys dritter Fall (German Edition)
weg.
»Da war noch die Sache mit Norbert Einwag. Ich bin mir nicht sicher, wie der junge Mann Grit beeinflusst hat, was ihr Verhältnis zu Ida betraf. Ida hatte nämlich auch eine spitze Zunge, so wie ich. Und sie erkannte gleich, dass Norbertchen von Papa Hasseberg ausgesucht war.«
Sieglinde rauchte gierig die nächste Zigarette an. Wie ein Vakuum saugten ihre Lippen. Die Glut der Zigarette leuchtete in dem schummrigen Dunkel des Cafés wie das Rücklicht eines Autos.
»Ida hat ihm mal klar und deutlich gesagt, was sie davon hält.«
»Wovon?«
»Dass er einem Mädchen den Hof macht mit der Absicht, sich einen Job in der Kanzlei ihres Vaters zu sichern.«
Katinka starrte sie an: »Wie …«
»Wie er reagierte?« Höhnisch zog Sieglinde Unruh die Lippen hoch. Sie sah aus, als wolle sie lachen. »Er zog den Schwanz ein und zuckelte von dannen. Grit ist danach über Ida hergefallen wie eine Hyäne. Sie hätte sich erstmal ganz vorsichtig an Norbert rangetastet, und sie fände es zum Kotzen, dass gleich die ganze Familie ihren Senf dazugäbe. Ich verstand, was das Mädchen meinte. Ida weniger. Sie hatte zwei Affären in ihrem Leben, die ihr beide zu stressig waren. Männer sind einfach nicht ihr Hauptthema gewesen. Ihres?«
Katinka dachte an einen Mann, mit dem sie eine Weile zusammengelebt hatte, der sie schikaniert und gedemütigt hatte. Sie wusste genau, wie schwer es war, zu gehen. Noch viel schwerer, als etwas Neues zu beginnen. In ihren Fingern juckte es. Sie würde sich jetzt gerne eine von Sieglindes Benson & Hedges greifen.
»Also nein«, gab sich Sieglinde Unruh selbst die Antwort. »Vernünftig. Auf mich trifft das leider nicht zu. Ich bin süchtig nach den Kerlen. Habe auch entsprechend Lehrgeld gezahlt. Bitte, nehmen Sie sich ruhig eine.«
Katinka ließ sich die Zigarette von Sieglinde Unruh anzünden. Sie verzog das Gesicht. Der Rauch biss in ihre Mundschleimhäute wie Gerbsäure und schmeckte nach toter Ratte.
»Ex-Raucherin?«
»Tja …«, machte Katinka. »Norbert Einwag hätte ein Motiv, Ida umzubringen. Sie hat die Frau seiner Träume zur Rebellion angestiftet.«
»Kurz zusammengefasst trifft das durchaus zu.«
Katinka musste sich zwingen, weiterzurauchen. Gekonnt versperrte sie dem Qualm den Weg in ihre Lungen. Am liebsten hätte sie den Glimmstängel sofort ausgedrückt. So täuscht man sich, dachte sie. Auf die Gier folgt die Ernüchterung.
»Noch mal zu dem Testament. Grit bekommt also …«
»Sie bekommt das Haus und wird mit einem warmen Geldregen gedüngt. Reicht, um ihr Traumstudium abzuschließen.« Sieglinde knibbelte an ihren Fingernägeln herum.
»Sie wohnen in einer kleinen Wohnung da drüben, oder?«, fragte Katinka.
»Sie sind ganz schön unverschämt«, sagte Sieglinde Unruh, aber sie grinste dabei. »Ja, ich lebe in einer kleinen Wohnung, in der ich mich sehr wohl fühle. Ich reise viel. Mehr Platz brauche ich nicht für mich und meine Erinnerungen.«
Wir bewegen uns ganz schön intensiv im Nebel der Erinnerung, dachte Katinka.
»Und mich um ein Haus dieser Größe zu kümmern – dazu fehlt mir die Geduld. Ich muss mir keine Gedanken übers Blumengießen und die Gartenpflege machen. Ich brauche keinen Hausdrachen zum Saubermachen.«
»Wusste Roland Hasseberg auch, dass Ida ihre Großnichte zu mehr Selbständigkeit ihm gegenüber veranlasste?«
»Ich nehme es doch an.«
Katinka stülpte endlich ihren Daumen über die Kippe. Sie trank den braunen Rest aus ihrer Tasse. Die Mischung aus Rauch und kaltem Kaffee ließ sie schaudern. Schnell fragte sie: »Ida Schenck hinterlässt aber sicher noch mehr Geld?«
»Sie können mich mal, Frau Palfy«, sagte Sieglinde Unruh. »Elke, das geht auf meinen Zettel«, rief sie der Bedienung zu. »Ich habe Sie eingeladen. Legen Sie sich nicht mit den Hassebergs an. Wenn einer mit dem Schlachtermesser auf Sie einsticht, ist es zu spät!«
»Wie viel bekommt Alina?«, versuchte es Katinka.
Sieglinde Unruh stopfte die Zigaretten zurück in die Schachtel, ließ sie in ihrer Lederjacke verschwinden und verließ das Café Abseits .
Komisch, dachte Katinka. Jemand, der gerne reist, macht doch auch gerne Fotos.
Sie beobachtete, wie Sieglinde Unruh sich durch den Verkehr über die Straße schlängelte. Der Regen schien sie nicht zu stören.
Selbstverständlich haben wir alle Schuld auf uns geladen.
Die zentrale Frage ist nicht die nach der Schuld, sondern die nach der Sünde. Sünde begreife ich als die Wertigkeit der
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