Fratzenmond: Katinka Palfys dritter Fall (German Edition)
hat.«
»Nein, hat er nicht, aber ich hatte Angst, dass du zu Matsch geworden bist.«
Sie hörten knirschende Schritte.
»Tom«, flüsterte Katinka. »Ich habe Grit getroffen, oder?«
Sie hatte gezielt und abgedrückt, und Grits Schreien hallte in ihrem Kopf wider. Sie würde in den Knast kommen. Sie hatte das erste Mal einen Menschen erschossen. In dunklen Albträumen war sie oft von dem Gedanken erdrückt worden, dass es einmal passieren könnte. Die Verzweiflung schwappte über sie hinweg. Sie sah sich im Besuchszimmer eines Gefängnisses, Tom jenseits der Glasscheibe. Wieder wurde ihr das Atmen schwer. Keuchend klammerte sie sich an Tom fest. Vishnu schnurrte um ihre Beine.
»Unsinn. Grit ist nicht tot. Ich glaube, Hassebergs Kugel hat sie gestreift. Bleib ganz ruhig. Es ist nichts passiert.«
»Palfy?«
Hardos trutzige Kontur erschien über ihnen auf dem Weg.
»Wir sind hier«, rief Tom.
Der Kommissar kam auf sie zu.
»Palfy, wo stecken Sie denn!«
»Ich glaube, sie steht unter Schock«, murmelte Tom. Katinka blickte Hardo über Toms Schulter hinweg entgegen.
»Was ist mit Grit?«, fragte sie.
»Kleiner Streifschuss. Ganz winzig. Nichts Schlimmes. Wahrscheinlich aus der Waffe ihres Vaters.«
»Und der Anwalt?«
»Den haben wir. Sie haben ihn ja für unseren Zugriff quasi schon präpariert.«
Katinka schien es, als würden mehrere Sylvesterraketen gleichzeitig in ihrem Magen gezündet.
»Ich denke, unser Schießtraining war ziemlich erfolgreich«, mutmaßte Hardo. Katinka versuchte es mit einem Grinsen. Es funktionierte nicht wirklich gut. Ihr wurde schwindelig und sie machte sich von Tom los und setzte sich auf den Boden.
»Hardo«, sagte sie. »Hasseberg war am Unfallort. Ihre Tochter … Sybille … sie hat noch gelebt.«
20. Montevideo
Wenige Stunden später kam Katinka in die Polizeidirektion. In Uttenreuthers Büro herrschte Chaos. Verschiedene Telefone klingelten, Leute gingen ein und aus, Akten wurden auf seinem Schreibtisch abgelegt oder weggetragen. Eine Polizistin mit einem langen, blonden Pferdeschwanz sortierte eine Hängeregistratur. Katinka kannte sie: Polizeimeisterin Sabine Kerschensteiner. Sie beide waren sich bei Katinkas erstem Fall begegnet.
»Morgen, Palfy.« Uttenreuther wischte sich mit einem Taschentuch über die Glatze. Er war fahl im Gesicht und seinen Bewegungen fehlten die übliche Energie und Resolutheit. Die grauen Bartstoppeln ließen ihn schlagartig älter aussehen. »Ich hoffe, Sie haben noch ein Stündchen geschlafen.«
Katinka schüttelte den Kopf. Gemeinsam mit Tom war sie am Küchentisch gesessen, sie hatten Kaffee getrunken, geredet, sich aneinander festgehalten und geschwiegen. Dann hatte Katinka sich Stift und Notizpapier gegriffen und die Geschichte aus ihrer Sicht rekonstruiert.
»Wollen Sie einen Kaffee?«
»Ja, gern«, nickte Katinka. Immer noch fiel ihr das Atmen schwer. Sie fragte sich, woran das lag. Alles seelisch, redete sie sich ein. Psychosomatik pur.
»Und Sie?«, fragte sie, als der Kommissar zur Kaffeemaschine ging und ihr eine Tasse einschenkte.
Er winkte ab.
»Gleich wird Hasseberg gebracht. Ich möchte, dass Sie hier bleiben. Wenn Sie etwas sagen wollen, geben Sie mir ein Zeichen.«
»O.k.«
»Keine impulsiven Geschichten. Null Emotionen. Daraus dreht er uns einen Strick.«
»Wo ist Grit?«
Hardo wies auf die Glasscheibe zum Nebenzimmer. Katinka stand auf und hinkte hinüber. Durch die Jalousien konnte sie Grit dort sitzen sehen, jämmerlich wie ein zerfledderter Vogel.
»Ihr Fuß, wie geht’s dem?«, wollte Hardo wissen.
Katinka kam nicht mehr dazu, zu antworten. Die Tür ging auf und zwei Uniformierte brachten Roland Hasseberg herein.
»Guten Morgen, die Herrschaften«, sagte Hasseberg gönnerhaft. »Frau Detektivin, ich hatte einige Stunden Freizeit, um auszurechnen, auf wie viel Schmerzensgeld wir kommen.« Er wies auf den dicken Verband am linken Arm. Auch seine rechte Hand war verpflastert.
»Setzen Sie sich«, sagte Harduin Uttenreuther. »Sie verzichten auf die Anwesenheit eines Anwalts?«
»Soll das ein Witz sein? Ich bin selber Anwalt.« Hasseberg strahlte Uttenreuther an, als sei der gekommen, um ihn nach einer mehrmonatigen Weltreise am Hafen abzuholen. Seine verschiedenfarbigen Augen glitzerten.
»Gut.« Hardo holte tief Atem. Die blasse Gesichtsfarbe verlieh ihm ein schauerliches Aussehen. Er ist bleich wie ein Bovist, dachte Katinka. Gleich tritt jemand auf seinen Kopf und dann steigt Rauch
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