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Frau an Bord (Das Kleeblatt)

Frau an Bord (Das Kleeblatt)

Titel: Frau an Bord (Das Kleeblatt) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hansi Hartwig
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eins? Susanni, warum hast du mir nicht …“
    Mit einer unwirschen Handbewegung schnitt sie ihm erneut das Wort ab. „Hör zu, ich weiß nicht, was es jetzt noch für einen Sinn hätte, darüber zu reden. Es war alles andere als leicht für mich, damit fertigzuwerden, das kannst du mir glauben, trotzdem habe ich es geschafft. Alleine. Verständlicherweise habe ich heute nicht das geringste Verlangen danach, alte Geschichten aufzuwärmen.“
    „Ich habe nich t geahnt, dass du … schwanger …“
    In seinen Augen blitzte plötzliches Erkennen auf. „ Ich weiß wieder, was ich in jener Nacht vergessen habe!“, stieß er hastig hervor und musterte Suse scharf. „Ich wusste, es war irgendetwas passiert. Etwas Wichtiges. Ich hatte immer das Gefühl, etwas tun zu müssen, das keinen Aufschub duldete. Ich konnte mich nicht erinnern, was es war, und das machte mich wahnsinnig. Ich habe nie etwas vergessen! Doch dieses Mal …“
    „Ein Wink des Schicksals vermutlich.“
    „Alles hatte sich in der Dunkelheit verloren. Untergegangen mit sämtlichen anderen Erinnerungen an diese Nacht und die Tage, die darauf folgten. Ich habe mich nicht daran erinnert, weil ich es nicht ertragen konnte, versagt zu haben. Der Schwangerschaftstest! Ich wollte ins Funkschapp, um nach dir zu sehen, aber Nienberg sagte, er hätte dich in deine Kammer geschickt. Als ich dort ankam, hast du bereits geschlafen. Und die Schachtel mit dem Schwangerschaftstest lag auf dem Boden. Sie muss dir aus der Hand gerutscht sein.“
    Seine Stimme wurde leiser und der vorwurfsvolle Ton darin deutlicher. „Du hast damals schon gewusst, dass du schwanger warst, und hast mir nichts davon gesagt. Warum? Warum hast du es mir verschwiegen? Es war mein Kind!“
    „Natürlich war es deins, du Witzbold. Allerdings warst du in dieser Unglücksnacht viel zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt, als dass du einer solchen Nebensächlichkeit hättest Beachtung schenken können. Und außerdem hatte sich dieses Problem nach fünf Monaten sowieso von allein erledigt.“
    Das Entsetzen ließ ihn keuchend nach Atem ringen. „Warum sagst du das? Ein Kind wäre kein Problem gewesen, Sanni. Niemals! Du hät test mit mir darüber reden müssen! Wir hätten es geschafft.“
    „Und was, wenn ich dir davon erzählt hätte? Was hättest du dann getan, hä? Du glaubst doch nicht im Ernst, dass du etwas hättest ändern können an dem, was passiert ist? Oder dass wir eine Zukunft gehabt hätten.“
    Das erste Mal an diesem Abend schaute sie ihm in die Augen, ehe sie mit fester Stimme verlangte: „Und nenn mich nicht mehr so.“
    Ein Muskel um seinen Mund zuckte. „Du hast es immer gern gehört“, begehrte er leise auf.
    Angesichts dessen, was er als Lächeln ausgab, hätte man weinen mögen. Suse fühlte sich plötzlich außerstande, die Traurigkeit in seinen Augen noch länger zu ertragen. Abrupt drehte sie ihm den Rücken zu. Auf Vorwürfe von seiner Seite hatte sie sich eingestellt, dieser Verletzlichkeit und diesem Schmerz auf seinem Gesicht dagegen konnte sie sich nicht verschließen.
    Sie starrte auf das dunkle Wasser und ließ ihre Gedanken schweifen. Die Unendlichkeit der Meere faszinierte sie immer wieder aufs Neue. Sie war überzeugt, der Anblick der See würde für sie bis in alle Ewigkeit unauslöschlich mit den widersprüchlichsten Erinnerungen verbunden bleiben. Sie war Ursache so vieler Tränen, Tränen des Zorns, der Trauer und der Freude. Das Meer zog sie an und stieß sie ab, denn es machte den Menschen ihre Schwächen und eigene Bedeutungslosigkeit bewusst, ihre Sterblichkeit.
    Dies war eine jener Nächte, überlegte Suse, in denen man an Dinge dachte, die man aus dem Gedächtnis verdrängt hatte. Etwas in der unendlichen Weite des blauschwarzen Himmels und der ungewöhnlichen Klarheit der Sterne lud den Geist zur Wanderschaft ein. Und so flogen ihre Erinnerungen zur Stewardess und dem Decksmann, zu ihrer Freundin Catherine, die bei einem Unfall getötet und in der Ostsee bestattet worden war. Sie alle hatten zu Lebzeiten eine Menge Spaß miteinander geteilt. Und das war es doch, was letztlich zählte: die Spuren von Liebe, die ein Mensch hinterließ, wenn er Abschied nahm, weil er für immer gehen musste.
    Schweigend verfolgten sie die Lichter des Ostseebades, die an Backbord zu erkennen waren, die Scheinwerfer der Autos, die wie hysterische Glühwürmchen auf der Stadtautobahn hin- und herrasten, die hell erleuchteten Doppelstockwagen der Schnellbahn, die

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