Frau an Bord (Das Kleeblatt)
verkniffenen Gesicht kaum noch zu erkennen. Den nächsten Blick kannte Suse allzu gut aus leidvoller Erfahrung – jenen Ausdruck in den Mienen von Männern, wenn Frauen sich aus dem ihnen zugewiesenen Revier von Heim und Herd herauswagten.
Wie e in gereiztes Raubtier fauchte Frisko: „Was?! Was wollen Sie noch? Ich dachte, ich hätte mich deutlich genug ausgedrückt. Ihre Anwesenheit auf der Brücke ist nicht erforderlich.“
Frustriert hangelte sie sich in das Funkschapp zurück. Das La ufen bereitete ihr inzwischen solch große Mühe, dass ihr der Schweiß vor Anstrengung zwischen den Schulterblättern hinab zum Hosenbund rann. Sie schüttelte sich und sehnte sich nach einer Dusche und einer Tasse Kaffee.
Der Regen hatte unterdessen die Ausmaße eines Wolkenbruchs angenommen und ging mit wütendem Geprassel auf die Decks nieder. Das Heulen des Windes klang immer bedrohlicher, sodass der Funker förmlich in den Kopfhörer kriechen musste, um die Morsezeichen unter Störungen, Schwund und gewittrigem Knistern aus dem Äther zu fischen, während Suse ein ums andere Mal mit angespanntem Gesicht durch das Fenster des Funkraumes lugte. Die Dunkelheit drückte dagegen, als wollte sie jeden Moment mit der vereinten Kraft des Regens das Glas durchbrechen und sie verschlingen. Es war gerade zwanzig Uhr und schon rabenschwarze Nacht. Der nächste Wellenberg türmte sich wie eine Wand vor dem Schiffsbug auf und rollte krachend über das Deck. Unwillkürlich trat Suse einen Schritt zurück.
„Die Dünung w ird stärker, nicht wahr?“, wandte sie sich an Nienberg, als der frustriert Bleistift und Kopfhörer auf die Back warf und sich dehnte und streckte. „Man kann kaum noch was da draußen erkennen. Wie hoch schätzen Sie die Wellen?“
Wenn Nienberg überrascht war von ihrem Mut, ihn anzusprechen, zeigte er es zumindest nicht. Prüfend schaute er seine Assistentin von der Seite an und erwiderte mit einem flüchtigen Blick aus dem Fenster: „Vier bis fünf Meter etwa, also noch nicht allzu viel. Aber es sind die Böen, die einen Wirbelsturm für uns gefährlich werden lassen. Oftmals passiert es, dass der Windstoß aus einer anderen Richtung als der Wind selber kommt, häufig dreht der Wind in der Böe sogar kurzfristig, womit das Navigieren zu einem regelrechten Glücksspiel wird.“
Suses Eingeweide verknoteten sich bei der bloßen Vorstellung von haushohen Wellen und der Unzuverlässigkeit des Glücks. Sie war sich nicht bewusst, einen Laut von sich gegeben zu haben, bis der Funker seinen Stuhl zu ihr drehte. Das wohl erste Mal betrachtete er sie geradeheraus.
„ Es bereitet mir wahrlich keine Freude und es ist auch gar nicht meine Absicht, Ihnen Angst einzujagen. Aber Sie haben die Wetterkarte selbst gelesen und mir scheint, Sie sind klug genug zu wissen, dass wir das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht haben. Wir müssen uns auf eine ganze Menge mehr gefasst machen. Es wird haarig, wenn ich ehrlich sein soll.“
Sie nickte mutlos.
„Das macht ebenfalls uns Alte nervös. Immer noch, in der Tat, obwohl wir schon Dutzende Stürme abgeritten haben. Sie müssen sich nicht schämen, wenn Ihnen mulmig wird.“
Nicht zum ersten Mal an diesem Abend hob Suse vor Überraschung die Augenbrauen. Unglaublich, menschliche Züge an Hans Nienberg! Wie lange hatte sie sehnsüchtig auf ein freundliches Wort von ihm gewartet? Auf ein wenig Akzeptanz. Musste denn faktisch erst die Welt untergehen, damit er sich dazu herabließ, mit ihr zu reden? Wäre ihr nicht so übel gewesen, hätte sie sich über diese Entdeckung gefreut wie ein Kind.
So begnügte sie sich mit einem schwachen Lächeln. „Aber Sie haben doch gesagt, der Wirbelsturm würde an uns vorbeiziehen.“
„Colette h at einen Durchmesser von fast vierzig Meilen, was für einen Wirbelsturm ziemlich viel ist. Und es lässt sich nicht leugnen, dass wir uns in seinem Einzugsbereich befinden. Die Verlagerungsgeschwindigkeit des Sturms ist mit dreißig Meilen ebenfalls sehr hoch, was bedeutet, dass wir es verhältnismäßig schnell hinter uns haben werden … haben könnten. Bis dahin allerdings …“
Er kratzte sich am Hinter kopf und überlegte kurz, ob es zu vertreten war (oder überhaupt Sinn machte), ihr weitere Details zu servieren.
„Und dann ist da immer noch die Gefahr eines Wasseraufstaus im Kern des Wirbelsturms. Bei extrem tiefem Druck kann das Wasser dabei bis zu einem Meter ansteigen. All das wird nicht ohne Spuren an uns vorübergehen. Holen
Weitere Kostenlose Bücher