Frau an Bord (Das Kleeblatt)
glauben, da es vielleicht reines Wunschdenken war und er sich Hoffnungen hingab, die nie erfüllt würden. In dieser Sekunde allerdings war er mehr als gewillt zu nehmen, was er bekommen konnte – Freundschaft, Träume oder Liebe. Und wenn es lediglich kurzfristige, sexuelle Befriedigung war, dann würde er auch dies wie ein Geschenk der Göttin Danu annehmen. Sie würde ihm verzeihen, dass er sie so lange verleugnet hatte.
Die Ungewissheit, seine innere Verwirrung und eine bis zu diesem Tag völlig unbekannte Verlustangst ließen ihn in kalten Schweiß ausbrechen. Für einen Moment schloss er die Augen und ließ seinen Emotionen freien Lauf.
Lieber Gott, ich habe dich nie um etwas gebeten. Nicht, seit … seit damals. Ich weiß, es ist nicht recht, sich etwas für sich ganz allein zu wünschen. Aber sie ist zu wichtig für mich geworden. Ich brauche Sanni.
Es war eine völlig neue Erfahrung für ihn , sich dermaßen verletzlich zu fühlen. Es lief einfach allem zuwider, was man ihn gelehrt hatte, in Deckung bleiben, keine Gefühle zulassen, niemandem vertrauen.
Mit dem Knie stieß er gegen etwas, was nicht an diese Stelle gehörte. Er sah nach unten und hob die Pappschachtel auf, die offenbar aus Suses Hand gerutscht und auf ihrem rechten Schuh gelandet war. Er stutzte kurz, als er die Kennzeichnung darauf las. Ein Schwangerschaftstest?
Er spürte, wie sich sein Herzschlag beschleunigte und ihm die Brust schwoll. Seine Suse! Lächelnd und mit einer zärtlichen Geste strich er das schweißnasse Haar aus ihrer Stirn. Er wehrte sich gegen den Stolz, mit dem ihn diese Entdeckung erfüllte. Er versuchte, sich unbeteiligt zu geben, sich an seinen Status als Außenseiter zu erinnern. Aber im Grunde seines Herzens war ihm klar, dass es ihm nicht gelingen würde.
„Ich liebe dich“ , sprach er aus, was ihn in den Tiefen seines Herzens bewegte. Und was seine Knie so unmännlich weich werden ließ, dass er sich setzen musste.
Oh Gott, fuhr es ihm durch den Kopf und sein Herzschlag setzte aus, sie wird mich hassen, wenn sie erfährt, wer ich wirklich bin!
Die Zeit stand still, alles um ihn herum wurde weiß und eiskalt. Wer gab ihm das Recht, mit vollen Händen zu nehmen, was sie zu geben hatte? Es war so unendlich viel. Viel mehr, als er sich je hätte vorstellen können. Sie schenkte sich ihm ehrlichen Herzens und ohne falsche Versprechungen zu machen. Er jedoch belog sie. Aber er würde es nicht ertragen, erleben zu müssen, wie ihre Liebe zu ihm sich in Abneigung und Verachtung verwandelte. Sie hatte es nicht verdient, hintergangen zu werden. Doch ihr die Wahrheit sagen, durfte er nicht.
Wie sollte er sich aus diesem Dilemma befreien, ohne daran zugrunde zu gehen?
Weder sein Streicheln noch seine sanften Küsse konnten Suse wecken. Nicht einmal die über Leben und Tod bestimmenden Entscheidungen, die unterdessen auf der Kommandobrücke der „Fritz Stoltz“ gefällt wurden, und die dramatischen Ereignisse, die sich zur gleichen Zeit in den Laderäumen des Schiffes abspielten, hätten sie in diesem Moment interessiert.
Am frühen Abend hatte Rupert Frisko den Kurs des Schiffes in Richtung Sao Miguel korrigiert. Nun hoffte er, denn sicher war er sich ganz und gar nicht, mit dieser Änderung dem Tiefdruckgebiet des Wirbelsturms weitestgehend ausweichen zu können. Anschließend stellte er den Regler der Ruderanlage auf 238 Grad und beendete seinen Dienst. Noch während der folgenden 20-24-Wache wurde das Schiff mit dem Selbststeuer gefahren. Der Dritte Nautische Offizier, Lutz Möser, hatte deshalb seinen Wachmatrosen André Gaubert und den Decksmann Svend Berner als Ausguck in die Brückennock geschickt, bis lautes Gepolter im Vorschiff die Männer aufhorchen ließ. André riss die Tür zum Brückenhaus auf und starrte den Dritten erwartungsvoll an.
D er kaute nervös auf seinen Nägeln und murmelte: „Ja. Ja, ich habe es gehört.“
„ Und? Was stehst du noch rum? Willst du nicht dem Alten Meldung machen?“
Lutz Mösers angestrengter Blick glitt von André hinaus auf die Back und wieder zurück. Der Matrose war nicht bloß groß und kräftig, sondern fuhr seit mehreren Jahren zur See und kannte das Deck wie seine Westentasche. Oder vielleicht doch nicht? Sollte er nicht lieber noch warten? Möglicherweise hatte das Geräusch ja gar nichts zu bedeuten.
„Also, dann …“
Unschlüssig nagte der Dritte auf seiner Unterlippe und äugte aus dem Fenster. Mittlerweile hatte es sich empfindlich
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