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Frau Bengtsson geht zum Teufel

Frau Bengtsson geht zum Teufel

Titel: Frau Bengtsson geht zum Teufel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caroline L. Jensen
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sie, spazieren zu gehen, obwohl die Welt draußen eher beschissen und wenig einladend aussah. Sie wollte nachdenken. Nicht darüber, was sie von dem Text halten sollte, nein, das saß zu tief in ihr – ein wohlerzogener und kluger Mensch akzeptierte unter keinen Umständen Rassismus oder Diskriminierung aufgrund ethnischer Zugehörigkeit. Punkt. Das stand nicht zur Debatte. Aber sie musste darüber nachdenken, was sie mit Gott tun sollte.
    Diesem Rassisten.
    Nein, heute waren ihre Gefühle nicht gespalten, sondern eindeutig.

    Sie warf einen letzten Blick auf die Eberesche, bevor sie die Straße überquerte. Jetzt sah es fast aus, als ob sie mit ihr schauderte.
    Ein Spaziergang durch die Fröjdgata war dasselbe, wie in einem Fertighauskatalog zu blättern. In jedem einzelnen der Kataloghäuser wohnten Menschen, die von dem Tag träumten, an dem sie das Allerweltsviertel verlassen und sagen würden: »Unser neues Haus ist von einem Architekten entworfen.« Auch in Jämnviken hatte man noch Träume.
    Ein paar Häuser weiter schnellten Kinder hinter einem Gartenzaun auf und ab. Sie sprangen auf einem riesigen Trampolin. Natürlich hatten in Jämnviken alle Trampoline Schutznetze, so dass sie wie auf den Kopf gestellte Fangnetze aussahen. In ihrem Viertel sollte kein Kind zum unfreiwilligen Fernsehstar in
Pleiten, Pech und Pannen
werden, wo Amateurvideos mit dummen Kommentaren und Lachsalven untermalt wurden. In Jämnviken lachte man nur über andere, nicht umgekehrt.
    Die Kinder wirbelten wie gefangene Insekten in dem Netz herum. Sie schrien und lachten und schienen dabei sogar noch eine Art Unterhaltung zu führen. Das Netz flatterte im Wind, und die Federn des Trampolins quietschten vor Freude, weil so viele Kleine dort zusammen spielten.
    Nein, der Gedanke an Geschrei und kleinteilige Schmutzwäsche war wenig verlockend für Frau Bengtsson. Trotzdem fühlte sie sich für eine Weile betrogen. Letzten Endes musste es ja Gott gewesen sein, der diese Entscheidung für sie gefällt hatte. Der bestimmt hatte, dass ihre Eierstöcke unproduktiv sein sollten. Andererseits hatte er sie damit von Evas Strafe für die Banane befreit. Sie würde keine Nachkommen unter Schmerzen gebären. Trotzdem: Sie war verbittert, dass sie dies nicht selbst hatte entscheiden dürfen. Jeder Schritt in der Fröjdgata war ein Schritt weiter weg von Gott.
    Plötzlich kamen ihr die springenden Kinder wie menschliches Popcorn vor, das in einer Popcornmaschine herumwirbelte. Sollte sie deswegen auf Gott wütend sein? Nein, genauso wenig, wie sie ihre Kinderlosigkeit beweinen konnte. Sie mochte überhaupt kein Popcorn.
    Wenn sie Kinder gehabt hätte, hätte sie sich – als gute und engagierte Mutter – zu dem Spiel gesellt? Die Vorstellung fiel ihr schwer.
    Und während sie versuchte, sich selbst unter den hüpfenden Kindern zu sehen, fiel Frau Bengtsson auf, dass sie sich nicht einmal an ihre eigene Kindheit erinnerte. Sie wusste nicht mehr, wie sie als Kind ausgesehen hatte, was sie getan hatte, was ihr gefallen und nicht gefallen hatte und ob ihre Kleider genauso verschwitzt gewesen waren.
    Sie bemühte sich, die Erinnerung an ihre damaligen Freunde wachzurufen. Vergeblich. Interessen, Desinteressen … alles war verschwunden. Sie wusste nicht einmal mehr, wie das Verhältnis zu ihren Eltern in diesem Alter gewesen war. Erst ab dem Alter von zwölf oder dreizehn hatte sie ein klares Bild von sich selbst als Person. Wer sie als Kind gewesen war, wusste sie nicht mehr.
    »Ist vielleicht besser so«, sagte sie, ließ die Außerirdischen in ihrem Netzkäfig links liegen und ging weiter durch die Reihen schmucker Häuser, bis die Bebauung plötzlich aufhörte und die Fröjdgata in einen schmalen Feldweg überging.
    Hundert Meter weiter beschrieb der Feldweg eine leichte Linkskurve, was dazu führte, dass Frau Bengtsson nach ungefähr einem halben Kilometer mit dem Anblick der Kirche konfrontiert wurde, die auf der anderen Seite eines Ackers stand.
    Der Acker war ziemlich groß, aber nicht unüberwindlich. Im Gegenteil, er war abgeerntet und eben und wirkte sogar einladend, wie eine Landschaft aus der Vergangenheit, als Schweden noch nicht voller Häuser, Straßen und Laternen gewesen war. Ein Land der Wiesen, Äcker und strohbeladenen Fuhrwerke. Bauern mit Strohhalmen im Mundwinkel hoben den Hut zum Gruß und fragten, ob man mitfahren wolle. Ein Land, in dem man Äcker überquerte, um zur Kirche zu gehen.
    Vielleicht waren diese Schritte über den

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