Frau des Windes - Roman
die rötlichen Paläste ab. Der neue Präsident Manuel Ávila Camacho habe ein Tellergesicht.
»Dann ist Mexiko also nicht mehr surrealistisch?«
»Die Surrealisten sind es auch nicht mehr.«
»Und Buñuel?«
»Den sehe ich ab und zu, aber seine Frau bringt er nie mit. Was hältst du von Männern, die nicht mit ihren Frauen ausgehen?«
»Fang nicht an wie Jacqueline.«
Breton lädt sie ins Café de Flore ein. Für Kinder ist es dort nicht sehr amüsant. Für Erwachsene auch nicht, stellt Leonora fest. Frankreich hat sich noch nicht wieder vom Krieg erholt, und schon sprechen die Franzosen von der Atombombe.
»Übrigens, Leonora, kürzlich habe ich mich für die Anerkennung der Autonomie der keltischen Kultur ausgesprochen.«
Obwohl inzwischen Sartre und Camus die Schlagzeilen beherrschen, lesen die Franzosen Breton, der gerade dabei ist, eine Anthologie seiner Gedichte zusammenzustellen. Er wird im Rundfunk interviewt und um seine Meinung zum Existentialismus gebeten.
»Da du in Mexiko lebst, Leonora, stehst du abseits modischer Strömungen, das ist ein großer Vorteil.«
Breton macht keinen Hehl aus seiner politischen Ernüchterung, und seine Fragen zu Trotzkis Einfluss vermag Leonora nicht zu beantworten.
»Kennst du irgendeinen Trotzki-Anhänger?«
»Der einzige, von dem ich weiß, ist Victor Serge, aber der geht ganz in seiner Schriftstellerei auf.«
»Nach wie vor glaube ich, dass kein Mensch einem anderen seine Macht aufzwingen sollte.«
Leonora antwortet nicht. Wozu auch?
»Du warst die Muse herausragender Männer«, sagt Breton mit einem Lächeln.
»Unsinn«, antwortet Leonora ärgerlich. »Ich hatte gar keine Zeit, irgendjemandes Muse zu sein. Ich war vollauf damit beschäftigt, mich gegen meine Familie aufzulehnen und zu lernen, wie man Künstlerin wird.«
»Deine Eltern haben euch ja verfolgt wie Psychopathen, die aus der Gesellschaft verbannt werden müssen.«
»Ja, sie haben uns das Leben zur Hölle gemacht.«
Das Gespräch erlahmt, was in früheren Zeiten undenkbar gewesen wäre, und erleichtert sieht Leonora Leonor Fini auftauchen.
»Antonin Artaud ist gestorben. Ich vermisse sein diabolisches Grinsen. Péret sehe ich nur selten. Nichts ist mehr wie früher«, sagt Breton beim Abschied.
Leonor Fini nimmt sie mit zum Großmarkt Les Halles de Paris, um Schnecken fürs Abendessen zu kaufen. Sie hat Leonora mit den Kindern und Péret eingeladen.
»Die armen Tiere, die esse ich nicht«, protestiert Pablo.
»Das sind escargots , du wirst begeistert sein.«
Beim Überqueren des Boulevard des Capucines ergreift Benjamin Péret Pablos Hand. Vom tosenden Verkehr verängstigt, tritt der Junge ihm gegens Schienbein und beißt ihn.
»Was ist denn in dich gefahren? Hältst du dich etwa für einen Azteken?«, schimpft Leonora ihn aus, als sie auf der anderen Straßenseite angekommen sind.
Leonor Fini, Benjamin Péret und Leonora essen alle Schnecken in Knoblauch-Weißwein-Soße bis zum letzten Happen auf.
»Ich bin sauer auf dich, Ma’«, protestiert Gaby. »Ich dachte immer, du liebst Tiere.«
Ebenso wie Breton fragt auch der niedergeschlagene Péret mehrmals nach Remedios und beteuert, er vermisse Mexiko.
»Damals hast du doch gesagt, es sei der traurigste Ort auf Erden.«
»Ich glaube, der Traurige war ich.«
Für die Surrealisten sind Kinder objets trouvés , die beschäftigt werden müssen, damit man sich mit ihrer Mutter unterhalten kann.
»Pass auf, Pablo reitet auf Giacomettis Skulptur herum!«
»Sieh mal, er will deinen Picasso ein bisschen verbessern.«
»Wenn du sie lassen würdest, Leonora, würden deine Söhne den Eiffelturm einreißen und Notre Dame und den Triumphbogen dazu.«
Leonora nennt sie nicht mehr Antichristen wie früher, als sie noch klein waren, sie fährt mit ihnen nach Hauterives und ins Rhonetal, wo sie auf einem Bauernhof übernachten. Als Leonora Gabys Interesse am Briefträger Cheval bemerkt, findet sie dessen Werk noch reizvoller. Pablo holt ein Heft hervor und zeichnet fein säuberlich die Skulpturen ab. ›Die sind besser als die von Max‹, denkt seine Mutter.
Auch die Weingärten und die Winzer gefallen den Kindern. Leonora holt sich eine Grippe, und ihre Söhne gehen in ihren nagelneuen Capes in den nächsten Laden und bringen ihr Kräutertees und Kompott ans Bett. ›Ach, Edward‹, schreibt sie, ›gäbe es nicht irgendeine Möglichkeit, in Frankreich oder England zu leben? Glaubst du, Chiki könnte hier Arbeit finden? Ich kann ja überall
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