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Frau des Windes - Roman

Frau des Windes - Roman

Titel: Frau des Windes - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Insel Verlag
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Sternenstaub umhüllten Kopf und in einem weißen Umhang, aus dem Pelikane, Möwen und Schiffe auftauchen. Leonora findet nichts dabei, dass die Kinder das Gespräch unterbrechen, gegen die Staffelei stoßen, sich ihre Farben nehmen, vor allem Pablo, der ungeniert nach den Pinseln greift.
    »Wer ist der Mann, Mama?«
    »Ein Engländer, der geflogen kam und auf dem Dach gelandet ist.«
    »Ein Engländer oder ein Storch?«
    »Wenn ich dir sage, dass er geflogen kam, dann ist er wohl eher ein Zugvogel oder ein Königsreiher.«
    Die Idee mit dem Königsreiher gefällt Edward.
    »Das Licht hier drinnen ist miserabel«, stellt er mitleidig fest.
    »Macht nichts. Wenn die Kinder aus der Schule kommen, höre ich ohnehin auf zu malen.«
    »Alle reden vom mexikanischen Licht, und für dich existiert es gar nicht.«
    »Ich hätte mir so gewünscht, dass Europa die Heimat meiner Kinder würde.«
    »Und dann bist du doch hiergeblieben.«
    »Beschlossen habe ich das nie, es ist einfach so gekommen.«
    Die Zeitschrift Town and Country veröffentlicht ein Foto von Baby Giant , begleitet von der Erzählung Day One von Jean Malaquais. Leonora erinnert sich an den Tag, als sie Malaquais wie einen Bettler durch Paris laufen sah, und an Max’ Bemerkung: »Den Idealismus dieses Polen finde ich großartig.« Vladimir Malacki – so sein ursprünglicher Name –, der über seine Zeit im KZ geschrieben hat, lebt inzwischen in Mexiko.
    »Sieh mal! Auch im Time Magazine und in Art News steht etwas über dein Werk. Wo hebst du eigentlich die Artikel über dich auf?«
    »Ich hebe sie nicht auf. Kann sein, dass Chiki es tut.«
    »Die Zeitschrift Horizon lobt dich ebenfalls ausgiebig. Hast du gelesen, was Victor Serge geschrieben hat? Deine Bilder würden ihn ergreifen, weil sie ›ein jugendliches, aber leuchtendes Innenleben‹ widerspiegelten? Auch Gustav Regler hat zwei deiner Bilder abgedruckt.«
    Im Katalog der Bel Ami International Art Competition erscheint Leonoras Werk neben dem von Salvador Dalí, Paul Delvaux, Max Ernst und dessen Frau Dorothea Tanning.
    Im Februar 1950 stellt ihr die Galería Clardecor, eine Galerie für Innenraumgestaltung, ihre Wände zur Verfügung.
    »Ein Möbelgeschäft?«
    »Leonora, das hier ist Mexiko«, sagt Edward zu ihr.
    »Es ist zwar nicht das, was du verdient hättest, aber zumindest eine Gelegenheit, von den Mexikanern wahrgenommen zu werden«, fügt Esteban Francés hinzu.
    In der Galería Clardecor nimmt Inés Amor, eine kleine Frau mit Knöcheln so dünn wie die eines Kanarienvogels, jedes einzelne Bild genau in Augenschein. Sie ist die Leiterin der Galería de Arte Mexicano. »Die versteht was vom Verkaufen«, sagt man Leonora. Die meisten ihrer Kunden stammen aus den USA . Sie wirkt zart und zerbrechlich, besitzt aber große Willenskraft und raucht noch mehr als Leonora. »Du wirst schon sehen, wie die Mexikaner dich behandeln, wenn ich bei dir bin«, tröstet Inés Leonora, die sich über das ausländerfeindliche Kunstmilieu beklagt.
    »Solange ich mich nicht in einen Chichimeken verwandle, glaube ich kaum, dass sie Notiz von mir nehmen. Ich habe nicht eine einzige aufgeschnittene Wassermelone gemalt.«
    »Mit mir wird das alles anders.«
    Tatsächlich wird Leonora bald als mexikanische Künstlerin anerkannt und nimmt an der Ausstellung ›Das mexikanische Porträt der Gegenwart‹ teil, die unter der Schirmherrschaft des Nationalmuseums für Moderne Kunst steht. Als Inés Amor Leonoras erste Einzelausstellung in der Calle Milán ausrichtet, gehen die Kritiker vor allem auf ihre Technik und ihre geheimnisvollen Themen ein. Margarita Nelken, Bürgerkriegsflüchtling aus Spanien, lobt die Ausstellung als das Beste, was man je in Mexiko gesehen habe. Der Maler Antonio Ruiz erklärt, endlich eine Seelenverwandte gefunden zu haben.
    »Wie gut, dass du bei Inés Amor gelandet bist!«, stellt Gunther Gerszo erfreut fest. »Sie ist die Einzige, die es schafft, dass die Käufer hinter ihr herlaufen.
    Leonora und ihre Söhne schauen sich das Ballett El Infierno des Russen George Balanchine an, der ein paar Tage später mit einer Mappe voller Pläne und Programme vor der Tür steht. Leonora soll Bühnenbild und Kostüme für sein Stück entwerfen. Wie gewohnt bittet sie Balanchine in ihre Küche und bietet ihm Tee an.
    »Wie soll ich denn meine Pläne ausbreiten, wenn die Katze auf dem Tisch sitzt?«
    »Pablo, nimm Kitty da weg.«
    Im Bademantel läuft Pablo hinter der Katze her, die sich auf Mäusejagd

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