Frau des Windes - Roman
begeben hat. Da Kittys Augen aber schon sehr schwach sind, schafft es die Maus, in den Ärmel von Pablos Bademantel zu schlüpfen, der kurz darauf mit lautem Geschrei die Treppe hoch- und wieder herunterrennt. »Ma’, die Maus beißt mich, die Maus frisst meinen Arm!«, kreischt er in immer schrilleren Tönen. Dazu bellen Dicky und Daisy unaufhörlich, obwohl auch sie inzwischen sehr alt sind.
»Hier kann man ja nicht arbeiten!«, ruft Balanchine, der nicht einmal dazu gekommen ist, einen Schluck Tee zu trinken, und steht wütend auf. »Man hat nicht eine Minute Ruhe. Diese Wohnung ist das reinste Irrenhaus!«
Er packt seine Sachen und geht.
»Warum hast du das getan?«, fragt Chiki Pablo.
»Die Maus ist in meinen Ärmel geschlüpft, und ich habe es erst gemerkt, als sie an meinem Arm hochgelaufen ist.«
»Du wirst deine Mutter um Entschuldigung bitten.«
Chiki straft ihn mit Schweigen, Leonora indessen tröstet ihn:
»Mach dir nichts draus, du hast nichts Schlimmes getan, der Idiot ist Balanchine. Wenn er wirklich interessiert gewesen wäre, hätte er das ausgehalten.«
Leonora malt ohne Pause. 1957 bringt ihr eine zweite Ausstellung in der Kunstgalerie von Antonio Souza neue Bewunderer ein.
Jedes Mal, wenn Edward James von einer seiner Reisen zurückkehrt, überfällt er Leonora mit Aras und Schlangen, die er nicht mit ins Hotel Francis nehmen darf. Auf der Dachterrasse tummeln sich Leguane, Loris, und Papageien flattern durch die Räume, Schildkröten entwischen auf den Flur. Fünf aus Manaus mitgebrachte Sittiche plappern in einem fort, und sieben wilde Dachse, die so aggressiv sind, dass nicht einmal Kitty sich ihnen nähert, hinterlassen im ganzen Haus ihre Häufchen.
Leonora, die sich um all diese Tiere kümmern soll, ist nicht gerade begeistert.
»Könntest du sie bitte auf die Dachterrasse bringen, damit sie Sonne abkriegen, Leonora?«, fragt Edward auch noch.
»Soll er doch seine Socken, die er immer hinter der Tür liegen lässt, zum Sonnen auf die Terrasse bringen«, meckert Pablo.
Edward ist zum Wohltäter der Familie Weisz geworden und nimmt sich das Recht, seine grässlichen gelben Socken in allen Ecken des Hauses liegen zu lassen. Zuweilen gehen James’ Macken Leonora gehörig auf die Nerven, dann läuft sie mit finsterem Blick durchs Haus. Gleichwohl freut sie sich, mit ihm auszugehen. James hat sie zum Essen in den University Club am Paseo de la Reforma eingeladen. Doch als es ans Bezahlen geht, zückt er einen Umschlag mit lauter 1-Peso-Scheinen und fragt sie, ob sie Geld dabei habe. »Dann müssen wir wohl hierbleiben und Teller waschen«, antwortet Leonora ärgerlich, »ich habe nämlich nicht einen Centavo in der Tasche.«
In der Wohnung der Weisz haben sich Reliquien und Heiligenfiguren ohne Hände oder Arme aus Dorfkirchen und verstaubten Sakristeien angesammelt sowie ein wunderschönes Kreuz im Churriguerismus-Stil, auf das James zwei, drei Jahre später Anspruch erhebt.
Leonora hat mit den Gürteltieren und Leguanen weniger Geduld als Kati. Pablo ist empört, dass Edward sich mit Shampoo die Hände wäscht, sein Handtuch auf dem Boden liegen lässt, rollenweise Klopapier verbraucht und das Badezimmer unter Wasser setzt, wo doch seine Eltern von ihm und Gaby stets verlangen, hinter sich sauber zu machen.
»Mama, James geht uns total auf den Senkel!«, ruft Pablo.
»Selbst wenn er euch noch so sehr auf die Nerven geht, ohne ihn hätten wir nichts zu essen.«
Gaby schüttelt resigniert den Kopf, während Pablo sich entrüstet:
»Lieber verhungere ich, als ständig seine gelben Socken ertragen zu müssen.«
»Du kennst seine Gedichte nicht«, tröstet ihn Gaby. »Die sind noch schlimmer als seine Socken.«
Ein Palast im Regenwald
Edward James kommt mit dem Auto aus den Vereinigten Staaten, durchquert die Huasteca Potosina und übernachtet in Tanimul in einem Dschungelhotel, einer surrealistischen Anlage mit großen Warmwasserbecken, in denen sich der Himmel spiegelt. ›Ich bin in einem Bild von Rousseau‹, denkt James. ›Hier muss er seinen Traum gemalt haben‹. Er verliebt sich in die Orchideen, die ringsum von den Bäumen hängen, und erkundigt sich, wo es mehr davon gebe.
»Gehen Sie nach Xilitla, patrón !«, antwortet man ihm.
Zu Fuß bricht der Engländer auf. Vierzehn Kilometer unasphaltierter Weg liegen vor ihm. Als es Abend wird, kommt ein kalter Wind auf, der ihn wie Espenlaub erzittern lässt. Da fällt ihm die Rolle Klopapier ein, die er in seinem
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